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Kultur: Und wo bleibt Branford Marsalis?

JAZZ

Rücke vor bis auf Los. Das Spiel beginnt aufs Neue. Die 4000 Mark Belohnung darf man kassieren. Ob Branford Marsalis diese Monopoly-Karte gezogen hat? Man könnte den Eindruck haben. Denn der Jazzsaxophonist greift im Berliner Jazzclub Quasimodo auf die Sechzigerjahre zurück und wagt sich dabei an die Überväter und ihre Schlüsselwerke: „ Love Supreme“ von John Coltrane und an „The Freedom Suite“ von Sonny Rollins. Da muss man erst mal schlucken. Denn die beiden elegischen Stücke sind eigentlich unerreichbar, unnachahmbar. Marsalis hat allenthalben den Sound modernisiert, mit Facetten der Jazzentwicklung des ausgehenden 20. Jahrhunderts bereichert. Die Band spielt gnadenlos fantastisch. Man weiß kaum, wem man genauer zu hören soll: Pianist Joey Calderazzo oder Schlagzeuger Jeff „Tain“ Watts. Exzellenter Jazz, exzellenter Groove, schlichtweg beeindruckend. Aber die Interpretationen sind verdammt nah am Original. Wo bleibt da Branford Marsalis? Wo bleibt der Saxophonist, der mit Buckshot LeFonque die Fusion von Jazz und HipHop vorantrieb, mit Sting, Public Enemy oder Grateful Dead Alben einspielte? Er ist zurückgekehrt zu den Ursprüngen, ganz wie sein kleiner Bruder Wynton, der mit seiner Trompete seit langem den „klassischen“ Jazz beschwört. Es scheint zur Familientradition zu werden. „Footsteps of Our Fathers“ hat Marsalis das dazugehörige Album getauft. So tritt er im Quasimodo leichtfüßig in die Fußtapfen seiner musikalischen Väter. Ganz ausfüllen kann er sie nicht. Man vermisst die Tiefe und die Verve der Väter. Und weiter geht Branford Marsalis auch nicht. Rücke vor bis auf Los. Man wartet, wohin die Würfel als Nächstes fallen.

Michael Schultheiss

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