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Ungarn im Kino: Die Weißwäscher von der Donau

Eine sonderbare Diskussion über die Situation der Roma in der ungarischen Botschaft – aus Anlass von Bence Fliegaufs Drama "Just the Wind". Der CSU-Moderator lobt Ungarn im Kampf gegen Rassismus – und tadelt Deutschland

Keine Frage: der beeindruckende ungarische Wettbewerbsbeitrag „Just the Wind“ von Bence Fliegauf, der die rassistisch motivierten Morde an Roma-Familien zum Thema hat, liefert Diskussionsstoff. Auch über das Festival hinaus. Insofern schien es verheißungsvoll, dass die ungarische Botschaft nach der Premiere zum Podiumsgespräch über die Situation der Roma lud. Bedauerlich nur, dass es eine höchst fragwürdige Veranstaltung wurde.

Schon der Titel ist schief: „Roma in Europa und Ungarn – ist das ein Problem?“, wollen die Veranstalter wissen, neben der Botschaft die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung. Ernst Hebeker, Leiter des Seidel-Hauptstadtbüros, beeilt sich zu versichern, man habe damit nicht ausdrücken wollen, es gäbe gar kein Problem. Dass mit der Zeile insinuiert wird, die Roma selbst seien das Problem, nicht der Rassismus, fällt keinem recht auf. Zudem war im Vorfeld Mónika Mécs angekündigt worden, die Produzentin von „Just the Wind“. Die fehlt aber auf dem Podium, weil sie Berlinale-Verpflichtungen hat. Was Moderator Hebeker erst auf Nachfrage mitteilt. Eine Botschafts-Mitarbeiterin erläutert dafür am Rande, der Termin sei kurzfristig vorgezogen worden, um die Teilnahme von Lívia Járóka sicherzustellen. Die sitzt als einzige Roma-Abgeordnete im Europäischen Parlament, für Viktor Orbáns rechtsgerichtete Fidesz-Partei.

Schade, dass von den Filmemachern niemand zugegen ist. Denn es werden gravierende Bedenken gegen den Film vorgebracht. Daniel Strauß, Leiter eines Zentrums für Antiziganismusforschung in Mannheim, fürchtet, „Just the Wind“ könne Vorurteile schüren: weil eine Roma-Familie gezeigt werde, die in Armut und Depression lebe. „Holzschnittartig reduziert“ findet er das, als Randgestalten sehe man die Menschen, nicht als Bürger Ungarns und der EU. Andererseits: Dass eine Mehrheit nicht nur der ungarischen Roma tatsächlich in bitterärmsten Verhältnissen lebt – und ihre Wohnsituation, Beschäftigungs-Chancen und Bildungszugänge dringend verbessert gehören – ist unter den Teilnehmern nicht wirklich strittig.

Zoltán Balog freut sich im Gegensatz zu Strauß, dass der Film gegen Klischees vorgehe: Schließlich kämen ungarische Bürger vor, die nett zu den Roma seien. Balog ist der Staatsminister für soziale Integration der Orbán-Regierung. Er hat den Dreh mit 18 Millionen Forint unterstützt (was schlichten 60.000 Euro entspricht).

Heuss ist nach Ungarn gefahren und hat die Familien von Mordopfern besucht

Und er hat im Namen seines Ministeriums ein Papier auflegen lassen, das in dicken Stapeln ausliegt und „Hintergründe“ des Films erhellt. Auf drei Seiten wird da im Wesentlichen gepriesen, mit welcher Beharrlichkeit die ungarischen Behörden nach den Anschlagserien auf Roma 2008 und 2009 die Täter verfolgten und dingfest machten. Zum Erstaunen des Filmteams – und auch der Berlinale-Offiziellen, die grundsätzlich kein „fremdes Material“ auf den Pressekonferenzen verteilt sehen mögen – wurden diese Zettel auch auf der Pressekonferenz zum Film auf den Stühlen ausgelegt. Spricht man Balog darauf an, gibt er sich ahnungslos. Und wenn, sei das etwa ein Problem?

Was bitter aufstößt, ist der relativistische Tenor, der im Balog-Papier und auch während der Diskussion immer wieder aufkommt: Andere europäische Länder, siehe Deutschland, hätten ja auch rassistische Gewalttaten zu verzeichnen. Das stimmt und ist ein Skandal. Aber allzu schnell werden die Vergleiche genutzt, um von der Situation in Ungarn abzulenken.

Nur Herbert Heuss, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, wagt es, die Fidesz-Linie von Balog infrage zu stellen, der eine beliebte Politiker-Strategie fährt: Erst Probleme offensiv benennen, dann die eigene Tatkraft feiern. Vor allem die des Ministerpräsidenten, der die „Roma-Problematik“ auf europäischer Ebene sichtbar gemacht, „die schmutzige Wäsche ins Schaufenster gestellt“ habe.

Heuss ist nach Ungarn gefahren und hat die Familien von Mordopfern besucht. Den großen Aufschrei der Zivilbevölkerung, von dem die Rede war, vernahm er nicht. Zumindest nicht, bis im Dorf Tatárszentgyörgy ein Fünfjähriger getötet wurde. Und die beflissene Aufklärungsarbeit der Polizei? Wird von Roma Organisationen sehr in Zweifel gezogen. Heuss ist auch der einzige, der den Erfolg der Jobbik-Partei zur Sprache bringt, die in Ungarn unter großem Zuspruch offen antisemitisch und antiziganistisch auftritt. Wenig später fragt Moderator Hebeker schon in den Raum, ob es nicht „vorbildlich“ sei, wie in Ungarn im Gegensatz zu Deutschland gegen Rassismus vorgegangen werde.

Nur eines zeigt dieser Abend: wie wichtig ein Film wie „Just the Wind“ ist.

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