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E-Mobilität als Religion. Elon Musk stellt das neue Tesla-Modell Y vor, das in Zukunft auch in Brandenburg gebaut werden soll.

©  Hong/dpa

Universalgenies: Von Thomas Edison zu Elon Musk

Jede Zeit hat die Visionäre und Erfinder, die sie verdient. Nebenwirkungen stehen im Kleingedruckten.

Von Andreas Busche

Was haben der Elefant Topsy, der britische Unternehmer James Heselden und Hillary Clinton gemeinsam? Alle drei wurden Opfer großer Visionen, die das Wohl der Menschheit zum Ziel hatten.

Die tragischste Figur ist Heselden, der 2009 das Stehroller-Unternehmen Segway übernommen hatte. Segways galten mal als das Versprechen urbaner E-Mobilität. Kein Jahr nach der Übernahme starb der neue Eigentümer bei einem Unfall – auf einem seiner eigenen Roller.

Hillary Clinton stolperte im Wahlkampf 2016 über die Datenaggregatoren von Cambridge Analytica, die auf Facebook nach Nutzerdaten gefischt und Falschmeldungen auf Profilen lanciert hatten. Die Trollfabrik kostete Clinton die Präsidentschaft und brachte dem einstigen boy wonder des Internetzeitalters, Mark Zuckerberg, eine Anhörung vor dem Kongress ein – in der er sich zu den Sicherheitslücken seines sozialen Netzwerks aber beharrlich ausschwieg.

Topsy erlangte am 4. Januar 1903 traurige Berühmtheit, als die Elefantenkuh vor 1500 Schaulustigen mit Stromschlägen getötet wurde. Zu sehen ist die Hinrichtung in dem einminütigen Film „Electrocuting an Elephant“ aus dem Studio von Thomas Alva Edison, dem Erfinder der Glühbirne, des Gleichstroms – und, nicht zu vergessen, des Kinos.

Der Legende nach wollte Edison, ein Verfechter des „humanen Tötens“, mit dem Film beweisen, wie unzuverlässig der Wechselstrom der Konkurrenz Westinghouse Electric Corporation für den Hausgebrauch war. Den „Stromkrieg“ hatte Edison allerdings bereits zehn Jahre zuvor verloren, Wechselstrom hatte sich in Amerika längst durchgesetzt. Topsys Tod war der Preis für menschliche Hybris.

Man kann sich Musk auch als Bond-Bösewicht vorstellen

Jede Gesellschaft bekommt die Visionäre, die sie verdient. Was das für Deutschland bedeutet, fragt man sich seit vergangener Woche, als Tesla-Chef Elon Musk ankündigte, seine vierte Gigafabrik in unmittelbarer Nachbarschaft der Hightech-Ruine BER zu errichten.

Musk ist der Inbegriff des modernen Universalgenies, das von grüner E-Mobilität, Mars-Tourismus und unterirdischen Hochgeschwindigkeitszügen träumt und mit jedem Geistesblitz eine weitere Milliarde anhäuft. Doch Profite sind nicht die Hauptmotivation von Menschen wie Musk. Sie wollen Probleme lösen, die unser Leben erleichtern.

Das nötigt, zugegeben, Respekt ab. Die Vision, im Brandenburger Umland an der Zukunft der Menschheitsgeschichte zu arbeiten, muss man erst einmal haben. Politiker und Wirtschaftsvertreter reagierten euphorisiert auf die Nachricht, dass das Menetekel Schönefeld bald in einem Atemzug mit Nevada, Buffalo und Schanghai genannt wird, wo die Gigafactorys I, II und III ansässig sind. Aber die quasi-religiöse Andacht, mit der der Name Musk ausgesprochen wird, stimmt auch misstrauisch.

Der Lichtbringer. Thomas Alva Edison (1847-1931). Foto: picture alliance
Der Lichtbringer. Thomas Alva Edison (1847-1931). Foto: picture alliance

© picture alliance / dpa

Man kann sich den 48-jährigen Südafrikaner gut als Bond-Bösewicht vorstellen, dessen Visionen zu groß sind für uns Normalsterbliche. „Der erste Schritt besteht darin zu etablieren, dass etwas möglich ist. Die Wahrscheinlichkeit erhöht sich von selbst“, lautet eines von Musks Selbstoptimierungsmantras. Wer nicht mitzieht, bleibt zurück – beziehungsweise wird gefeuert.

Die Radikalität erinnert tatsächlich an Bond-Widersacher, die zum Wohl der Welt notfalls auch die Menschheit auslöschen würden. Die Überlebenden, vom Konzernchef persönlich für würdig befunden, dürfen dann auf eine von Musks Mars-Kolonien umsiedeln.

Die Welt von Thomas Edison war übersichtlich

Großdenker des Fortschritts wie Mark Zuckerberg, Elon Musk, Jeff Bezos und Alibaba-Gründer Jack Ma, ein aggressiver Befürworter von künstlicher Intelligenz als Freund des Menschen, sind von einem anderen Schlag als Pioniere wie Thomas Alva Edison oder Henry Ford, deren Unternehmergeist (und Vermögen) noch auf ihrem Erfindungsreichtum beruhte; Edison hält über 1000 Patente.

Die Welt, die sie verbessern wollten, war übersichtlicher und noch vorindustriell. Edison brachte Licht in die Städte, Ford half, diese zu verbinden. Das Kino war eine Manifestation von Platons Höhlengleichnis: Der Mensch schafft Bilder von der Welt. Erkenntnisgewinn.

Die Spezies Jobs/Zuckerberg/Musk verkauft Wohlfühl-Komplettpakete, deren Nebenwirkungen nur im Kleingedruckten stehen. Mit den Konsequenzen ihrer Visionen müssen wir uns später herumschlagen.

Ihre Produkte werden ihnen trotzdem aus den Händen gerissen, weil sie in einer heillos komplizierten Gegenwart Klarheit versprechen: das beruhigende Leuchten des Apfel-Logos (es sei denn, das OS hat sich wieder mal aufgehängt), die Ordnung der Sozialkontakte in einer Timeline, das Versprechen, am grünen Fortschritt teilzuhaben.

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Die Antwort auf die Inkongruenz der Welt ist die Autosuggestion, für jedes drängende Problem die richtigen Fragen zu haben. Der Börsenkurs fungiert nur mehr als Seismograph einer neurotischen Gefühlslage: Tesla erzielt keine Profite, der Konzern steht permanent kurz vorm Konkurs.

Aber er generiert Shareholder Value, so wie Facebook zu Beginn von seinem sozialen Kapital zehrte. Schon das Versprechen lässt den Börsenkurs durch die Decke gehen, es ist eine Anzahlung auf die Zukunft.

Das Prinzip Disruption als Sinnbild einer labilen Psyche

Aber was sind das für ambivalente Führerfiguren, deren Visionen wir uns bereitwillig unterwerfen, weil die Welt nicht mehr linear verläuft, sondern wie in einem fragilen Ökosystem alles von allem abhängt? (So wie ein bekiffter Tweet von Elon Musk, Tesla von der Börse zu nehmen, die amerikanische Wirtschaft kurz mal in Aufruhr versetzt.) Stimmungsschwankungen sind ein Symptom unserer Zeit, das ganze Programm von posttraumatischen Belastungsstörungen bis Borderline-Syndromen.

Der Führungsstil dieser modernen Visionäre ähnelt dem Krankheitsbild einer labilen Psyche, jedoch clever vermarktet als Strategie der Disruption. Out of the box thinking. Dazu passt ein Satz, der ebenfalls Elon Musk zugeschrieben wird: Man muss nicht intelligent sein, um Dinge zu verändern.

Der Hippie-Unternehmer. Steve Jobs (1955-2011).
Der Hippie-Unternehmer. Steve Jobs (1955-2011).

© Kimberley White/Reuters

Vielleicht ist die Wahrheit auch, dass wir in ein Stadium der Regression zurückgeworfen sind, in dem messianische Erneuerer den Platz der Eltern eingenommen haben. Dann wären wir verängstigte Kinder, die sich aus Verzweiflung einem charismatischen Anführer zu Füßen werfen.

Vielleicht ist es an der Zeit, in die Pubertät einzutreten, den Aufstand gegen die Autorität zu proben. Innere Reife, das lehrt die Kinderpsychologie, bedeutet auch, Enttäuschungen zu überkommen und die Schwächen unserer Idole zu akzeptieren.

Wandelnde Thinktanks wie Elon Musk verkaufen Mythen

Was wandelnde Thinktanks wie Elon Musk, Steve Jobs und Mark Zuckerberg verkaufen, sind im Grunde Mythen. Der visionäre Ursprung eines Mythos, schreibt der Religionswissenschaftler Lee Irwin in seinem Buch „Visionary Worlds: The Making and Unmaking of Reality“, sei das Fundament jeder Religion. „Der Mythos ist Realität; der Lageplan durch unsere Träume, unsere Vorstellungen, hin zu einer kohärenten Form unserer Existenz. Die Mythen sind insofern real, als sie Wachstum fördern.“

Nur scheitert der Mensch an der Herausforderung, das Geflecht aus sozialen Verpflichtungen, moralischem Handeln und persönlichem Gewinn aufzulösen, so Lee. Mythen sind chaotisch und – auf die Wirklichkeit angewandt – schwer zu entschlüsseln.

Steve Jobs, ein Kind der kalifornischen Gegenkultur, suchte Anfang der Siebziger, bevor er in einer Garage Apple gründete, zur Erleuchtung einen indischen Guru auf. Die Cyber-Esoteriker aus dem Silicon Valley waren die ersten Entrepreneure, die ihre Weltverbesserungsmission im Wissen um die globalen Zusammenhänge von Mensch und Natur starteten (dokumentiert im „Whole Earth Catalogue“).

Elon Musk hat dagegen, das ist bezeichnend für den visionären Pragmatismus der zweiten Silicon-Valley-Generation, bereits einen Plan B in der Tasche. Wenn es mit der grünen Mobilität nichts wird, bleibt uns immer noch der Mars.

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