zum Hauptinhalt

Kultur: Unschärferelation

Stefan Heyne fragt mit seinen abstrakten Fotografien: „Woran denkst Du?“

Von überall prasseln Bilder auf uns ein. Die Mediengesellschaft produziert sie und giert nach ihnen. Alles wird aufgezeichnet, ins Netz gestellt, fotografiert. Ein Ereignis, von dem es kein visuelles Material gibt, kann genauso gut nie stattgefunden haben. Meist gilt die Regel: je detaillierter, je schärfer die Bilder, desto besser. Stefan Heyne widersetzt sich dieser Maxime. Als im vergangenen März bei einem Attentat auf dem Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten getötet wurden, war der Künstler zufällig als Passagier hautnah dabei und wurde Augenzeuge des Anschlags. Heynes Fotografien vom Geschehen am Terminal 2 sind Teil seiner Ausstellung „Woran denkst Du?“, die in der Kommunalen Galerie zu sehen ist. Die vier Bilder tragen den profanen Titel „FRA-T2-2311-1-4“, weisen also lediglich auf Ort und Datum des tragischen Ereignisses hin. Eine der Fotografien zeigt eine verschwommene Horizontlinie, an der ein dunkler Untergrund – vielleicht das Rollfeld? – auf den abendlichen Frankfurter Himmel trifft. Auf den anderen sieht man nackte weiße Wände, lange Schatten, einen hell erleuchteten Boden in der Dämmerung. Keine Menschen, keinen Militärbus.

Wie auf den übrigen 35 Fotografien stellt Heyne auch hier die Möglichkeit der objektiven Abbildung durch das Medium infrage. Der Informationsgehalt tendiert gegen null, die Werke verlangen vom Betrachter eine neue Beurteilung des Wahrgenommenen. Der Titel „Woran denkst Du?“ ist als direkte Aufforderung zu verstehen. Der studierte Szenograf reduziert seine Bilder auf Ausschnitte, lässt durch die Unschärfe eine abstrakte Formensprache entstehen, die zu ungewohnten Sehweisen anregt. Die Ausstellung bietet einen Querschnitt durch sein Werk der letzten sieben Jahre, wobei deutlich wird: Im Laufe der Zeit sind Heynes Fotografien immer undefinierter geworden, haben ihre Gegenständlichkeit nach und nach eingebüßt. Auf dem Bild „Tisch“ von 2004 ist das Objekt – eine grüne Tischecke – noch deutlich zu erkennen. Bei dem zwei Jahre später entstandenen „Fach“ zeigt sich selbiges bloß noch als Andeutung. Vielmehr scheint man aus einem Flugzeugfenster auf die Wolkendecke eines Himmels zu schauen, der kurz nach Sonnenuntergang dunkelrot leuchtet.

Andere Fotografien erinnern an die Farbfeldmalerei eines Barnett Newman oder Mark Rothko, während die neueren fast nur aus Licht und Schatten zu bestehen scheinen. Wie „7174“ aus dem vergangenen Jahr: Eine Kante trennt die kahle Wand vom leeren Boden eines Zimmers, das zur Hälfte in einem Schatten liegt, der sich diffus in den Raum ausbreitet.

Übergänge beherrschen das Werk des 1965 in Brandenburg geborenen Künstlers: Wände, die – ähnlich wie in den Filmen von David Lynch – in eine mysteriöse Dunkelheit führen. Der Betrachter kann darin versinken. Außerdem Türrahmen, Kanten, Gänge, zwei verbundene Wagen eines ICE, die nur durch die charakteristische Farbgestaltung als solche zu erkennen sind. „Unschärfe eröffnet Denkweite!“ hat eine Besucherin der Ausstellung ins Gästebuch geschrieben.

Kommunale Galerie Berlin, Hohenzollerndamm 176, bis 19.6., Di–Fr 10–17 Uhr,

Mi 10–19 Uhr, So 11–17 Uhr, Katalog 30 €

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false