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Kultur: Unselds Haus

Frankfurter Buchmesse: New Age bei Suhrkamp

Buchmesse, Mittwoch, 17 Uhr, Klettenbergstraße, Siegfried Unselds Privathaus. Auf dem Lesepult aus dunklem Holz liegt immer noch das Foto mit Unseld und Samuel Beckett. Wie letztes Jahr, wie vor drei, wie vor fünf Jahren, als der große Verleger das letzte Mal persönlich Gastgeber des legendären Kritikerempfangs in seinem Bungalow war.

Neben dem Pult mit dem Foto steht Ulla Unseld-Berkéwicz, Unselds Witwe und Nachfolgerin als Verlegerin, und begrüßt die handverlesene Hundertschaft Autoren, Chefredakteure, Kritiker und Verlagsleute. Hier findet seit Urzeiten die inoffizielle, eigentliche Eröffnung der Frankfurter Buchmesse statt. Das symbolische Zentrum der Literaturwelt war und ist das Haus in der Klettenbergstraße. Aber jetzt ist es ein Museum. Die Chefin spricht es aus, zum ersten Mal: „Willkommen im Siegfried-Unseld-Haus“.

Es gibt einen Unseld-Preis und eine Unseld-Stiftung und vieles andere mit dem legendären Namen im Titel. Nun kündigt die Verlegerin zwei neue Projekte an: eine Bibliothek der Weltreligionen und die „Edition Unseld“, in der „der Dialog von Geistes- und Naturwissenschaften stattfinden wird“. Viele mokierten sich nach dem Tod des Verlegers im Herbst 2002 über den anschwellenden Unseld-Kult. Aber als Peter Suhrkamp 1959 starb und sein Adlatus Unseld Chef wurde, gab es auch einen Suhrkamp-Kult. 1963 gründete Unseld die „edition suhrkamp“, die regenbogenfarbenen Taschenbücher, die die Bundesrepublik veränderten. Warum nicht jetzt eine „Edition fürs 21. Jahrhundert“, wie die Verlegerin selbstbewusst deklamiert?

Als vor zwei Jahren der Machtwechsel im Hause Suhrkamp kritisiert wurde (Ulla Unseld-Berkéwicz verdrängte damals den Geschäftsführer Günter Berg, der heute Hoffmann&Campe-Chef ist) waren viele besorgt um das aufklärerische Suhrkamp-Erbe. Die Gerüchte um die esoterischen Interessen der neuen Verlegerin schossen ins Kraut. Aber jetzt, da sich sogar Suhrkamp-Gigant Jürgen Habermas um die „Anschlussfähigkeit“ an Ratzinger bemüht und sich der Zeitgeist allmählich lockert, könnte sich zeigen, dass die Privatinteressen der Verlegerin und das bewährte SuhrkampKomptenzteam produktiv zusammenkommen und womöglich eine profunde Form finden. Warten wir ab, wie wir vom Wassermann-Zeitalter im Hause Suhrkamp, vom Frankfurter New Age, profitieren werden. Es gab eine Zeit, da waren Alchimisten Aufklärer. Und nicht selten entpuppt sich die dunkle Seite der Macht als die bessere Hälfte.

Marius Meller

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