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Kultur: Unsere kleine Nazi-Stadt

Erika Manns „Wenn die Lichter ausgehen“ erscheint erstmals auf Deutsch

Es gibt ein Foto aus dem Jahre 1931, das Erika Mann als Siegerin eines10000 Kilometer-Autorennens zeigt: Den kurzgeschorenen Bubischopf unter einem Käppi verborgen, in Anzug und Krawatte blickt sie abenteuerlustig ins Weite. Man kann sich gut vorstellen, wie sie, den Bruder Klaus neben sich, über die Küstenstraßen der Côte d’Azur kurvt. Um das nötige Kleingeld für das luxuriöse Leben aufzutreiben, schreiben die Geschwister einen leicht-sinnigen Reisebericht: ein bisschen insiderisch mit der Schickeria auf Du und Du – und nicht gewillt, sich vom guten Leben ablenken zu lassen.

Dieser Absicht folgt offenbar auch die Edition Ebersbach, die das Riviera-Buch nun ein weiteres Mal herausgibt, und den Reisebericht um die „trübsinnig und lustlos“ beschriebenen Küstenabschnitte im faschistischen Italien gekürzt hat. Entre parenthèse schiebt sich dann aber doch hie und da etwas Ernst zwischen die Zeilen: „Überall in Frankreich laufen Kriegsfilme“, wissen die Mann-Sprösslinge schaudernd zu berichten, „und in den Buchläden liegen Kriegsbücher aus, sogar solche von unserem blutrünstigen Ernst Jünger; das Interesse der Menschheit für diesen schauerlichen und stumpfsinnigen Gegenstand hat etwas Besorgniserregendes.“

Keine zehn Jahre später wird Erika Mann im schweizerischen Arosa sitzen, und die kleine Besorgnis über diesen „stumpfsinnigen Gegenstand“ ist heller Alarmbereitschaft gewichen. Auch jetzt schreibt sie einen Reisebericht, aber sie wird an dieser Reise nur als Erzählerin teilnehmen, denn 1939 gibt es für die Mann-Familie keine Rückkehr ins nationalsozialistische Deutschland mehr. Also schickt Erika Mann einen fiktiven amerikanischen Touristen in eine süddeutsche Universitätsstadt , um den Durchschnittsalltag der Bevölkerung zu erkunden. „Our Nazitown“ sollte der locker zusammengehaltene, zwischen Tatsachen und Erfindung changierende Bericht ursprünglich heißen, er erreichte seine amerikanische Leserschaft dann aber unter dem Titel „The Lights Go Down“.

Dass „Wenn die Lichter ausgehen“ erst über sechs Jahrzehnte später auf Deutsch erscheint, ist zunächst erstaunlich, zumal der Boom der Exilliteratur seinen Zenit längst überschritten hat. Erst die Lektüre lässt ahnen, warum es ein „Mann- Jahr“ benötigt – den 50. Todestag des Vaters, den 100. Geburtstag der Autorin am 9. November 2005 –, damit dieses Werk auf uns kommt.

Der Fremde, der nur im ersten und letzten Kapitel in Erscheinung tritt, wünscht sich eine „Tarnkappe“, um sich ein realistisches Bild über Deutschland zu machen. Noch ist Friede, doch die Zeichen stehen im ganzen Land auf Krieg. In zehn Kapiteln misst die Autorin die Stimmungslagen zwischen verlorener Hoffnung, Angst und Resignation aus. Ein junges Mädchen geht in den Tod, weil ihm ein unfähiger NS-Arzt eine nicht existierende Schwangerschaft attestierte; ein Fabrikant verrät seine Liebste, als er erfährt, dass sie Halbjüdin ist, und ein Matrose wird erschossen, weil er im Ausland eine antinazistische Kundgebung besucht hat. Alles Charakterdurchschnitt, keine Helden, keine Barbaren.

Erika Mann hat in gut journalistischer Manier Material gesammelt: Erzählungen von Betroffenen und Zeitungsartikel, die sie über lange Strecken zitiert. Typisch sollen die Geschichten sein, schreibt die Autorin, und auf belegbaren Tatsachen beruhen. Ein Jahrzehnt zuvor nannte man das in Deutschland Neue Sachlichkeit. Doch Erika Mann knüpft, wie ihre Biografin Irmela von der Lühe in einem aufschlussreichen Nachwort ausführt, an einem anderen, in Amerika damals gängigen Genre an, der Kleine- Stadt-Literatur. Erika Mann will auch die Leser des amerikanischen Mittelwestens für den Eintritt in den Krieg gegen Hitler gewinnen. Dafür wirbt sie auf ihren Lesereisen, dafür schreibt sie. Sie schreibt ein bisschen wie in ihren Kinderbüchern: allwissend–naiv. In jeder Szene ist der Wunsch Vater des Gedankens: „Ich wollte“, lässt sie den Fabrikanten sagen, „nur zeigen, wie die Dinge vor sich gehen. Die Dinge gehen bergab.“ Doch der deutsche Durchschnittsmensch hält durch bis zum „Endsieg“. Das konnte Erika Mann 1939 noch nicht wissen. Ihren Bericht als Beitrag zur posthumen Relativierung deutscher Schuld misszuverstehen, wäre nicht im Sinne seiner Schöpferin.

Erika und Klaus Mann: Das Buch von der Riviera. Was nicht im Baedeker steht. 119 Seiten. Edition Ebersbach, Berlin 2005.

Erika Mann: Wenn die Lichter ausgehen. Deutsch von Ernst-Georg Richter. 314 Seiten. Rowohlt, Hamburg 2005.

Das Buch wird heute um 20 Uhr in der Akademie der Künste, Hanseatenweg, vorgestellt.

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