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Kultur: Unter einer alten Sonne

Roman eines maoistischen Aufbruchs: Eileen Chang singt „Das Reispflanzerlied“.

Ihr Name geriet erst wieder in Erinnerung, als Ang Lees Film „Gefahr und Begierde“ 2007 in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde. Eileen Chang, die Schöpferin der Vorlage (auf Deutsch in dem gleichnamigen Erzählungsband) war da längst vergessen, obwohl ihr 1950 veröffentlichter Roman „Das Reispflanzerlied“, innerhalb weniger Jahre in 23 Sprachen übersetzt worden war – 1956 auch ins Deutsche. Die 1920 in Schanghai geborene Autorin war aber auch schnell zwischen die politischen Fronten geraten. Sie eignete sich als ideologische Munition gegen das kommunistische China – dafür war die seit 1952 in Hongkong lebende und drei Jahre später in die USA ausgewanderte Chang in ihrer Heimat verfemt. Mit über fünfzig Jahren Abstand und in einer zeitgemäßeren Übersetzung durch Susanne Hornfeck, die auch das Nachwort besorgte, treten neben dem politischen Kern heute die menschliche Dimension und ihre literarische Qualität hervor.

Erzählt wird die Geschichte eines chinesischen Dorfes in der Zeit des chinesisch-koreanischen Krieges. Mit der Landreform sind die Bauern erstmals zu Eigentum gekommen, unter ihnen auch der junge Bauer Jin’gen. Mehrere Jahre hatte sich seine Frau Yuexiang in Schanghai als Hausmädchen verdingt, um die Großfamilie zu unterstützen. Jetzt hofft das Paar, sich zusammen mit der Tochter A Zhao und den übrigen im Haushalt lebenden Verwandten etwas aufbauen zu können. Doch schnell muss Yuexiang feststellen, dass es trotz der guten Ernte zu wenig Reis gibt und die Bauern überall Hunger leiden. Sogar aus dem benachbarten Zhou-Dorf, wo Jin’gens Schwester Jinhua lebt, kommen sie, um bei der aus der Stadt Zurückgekehrten Geld zu borgen. Schlimmer noch, werden die Bauern vom ganbu, dem örtlichen Kader Wang, gezwungen, die letzten Vorräte als Neujahrsgabe an die Soldatenfamilien abzugeben. Die Bevölkerung fühlt sich erinnert an die verhassten japanischen Besatzer.

Um das Maß vollzumachen, hat Wang in der Familie Jin’gens den Intellektuellen Gu einquartiert, der einen Propagandafilm über den revolutionären Aufbau auf dem Lande schreiben soll. Doch wie alle anderen hungert auch Gu. Eine Wende nimmt das in seiner ganzen Monotonie detailreich geschilderte Dasein, als der Zorn der Bauern sich in einem spontanen Aufruhr Luft macht. Als Quellen, berichtet Hornfeck, standen Chang zur Zeit der Abfassung ihres englischen (später auch auf Chinesisch verfassten) Manuskripts nur ein prokommunistischer Zeitschriftenartikel und ein Film zur Verfügung. Konkrete Anschauung über die Verhältnisse auf dem Land hatte sie nicht. Belegt ist die zeitgenössische Selbstkritik eines dörflichen Kaders, der als Vorlage für den vielschichtig gezeichneten Wang dient: „Wir haben versagt“, sagt Wang im Roman. „Wir haben auf die eigenen Leute schießen müssen.“ Gu, der aus den Ereignissen propagandistischen Filmstoff destilliert, ist der Typus des gläubigen Intellektuellen. Er meint Stimmen von Gefolterten zu hören, doch sein Glaube an die Sache der Revolution erlaubt ihm „Entbehrungen frohgemut zu überstehen, alle verstörenden Gedanken und Gefühle auszuschalten“ und sein „Gewissen zu beruhigen“.

Noch sensibler als den intellektuellen Spagat des Veteranen Wang, dem nichts als die Partei geblieben ist, und des Opportunisten Gu (im Buch ein wenig zu zeitgeistig als „Wendehals“ vorgestellt) versteht es Chang, die Spannungen im Dorf nachzuzeichnen, die durch das Misstrauen der Beamten, aber vor allem durch den Hunger befördert werden. Unter den neuen Verhältnissen drohen die althergebrachten Beziehungen, die unter „einer alt gewordenen Sonne“ gewachsen sind, zu zerbrechen. Häusliche Gewalt und „romantische“ Liebesbedürfnisse, die Ehrung der Alten und der Hass auf sie, Kindeswohl und Kindesmisshandlung: all diese nicht in Übereinstimmung zu bringenden Gefühlswelten und das, was die maoistische Lehre als „Widersprüche im Volk“ zu bezeichnen pflegte, stehen unterm Regiment bitterster Not.

Ob Chang ein wirklichkeitsgetreues Bild der ländlichen Verhältnisse in China gezeichnet hat? Ein sprechendes Bild des komplizierten Beziehungsgeflechts, der Abhängigkeiten und des politischen Opportunismus ist ihr unbedingt gelungen. Und ein poetisches: Wenn die Schanghaier Frauen das Spülwasser in die Gosse gießen, als sei es der „Rand der Welt“ oder das Knirschen des alten Mühlsteins dem Geräusch der sich um ihre Achse drehenden Erde nachempfunden ist, werden Bilder und Zeitrechnungen aufgerufen, die dem jungen Europa fremd sind. Das alte und das neue China, hier trifft es an einer Schmerznaht zusammen.

Eileen Chang: Das Reispflanzerlied.

Roman. Aus dem Englischen unter Berücksichtigung des Chinesischen von Susanne Hornfeck. Claassen Verlag, Berlin 2009. 221 Seiten, 19,90 €.

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