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Kultur: Unter Freunden

Konrad Merz, ältester noch lebender Exilschriftsteller, wird neunzigVON TILMAN KRAUSEKonrad Merz fiel aus Deutschland, auch er.Als Jude, 1934.

Konrad Merz, ältester noch lebender Exilschriftsteller, wird neunzigVON TILMAN KRAUSEKonrad Merz fiel aus Deutschland, auch er.Als Jude, 1934.Doch er fing sich, wurde nicht von den Häschern gefangen, überlebte.Im holländischen Exil, das ihm Heimat blieb bis heute.Dennoch, und das wiegt viel, feiert dieser älteste noch lebende Exilschriftsteller seinen neunzigsten Geburtstag heute in Berlin.Dies ist die Stadt, in der er das Licht der Welt erblickte, in Armut aufwuchs.Zum Autor wurde er erst in den Niederlanden.Sein Debüt mit dem unnachahmlich einprägsamen Titel, der sich als Wortprägung längst verselbständigt hat, der einging in den Kollektivwortschatz, seine romanhaften Aufzeichnungen "Ein Mensch fällt aus Deutschland" von 1936 also, markieren eine Zäsur in der deutschen Literatur der Emigration.Was wiederum ein Holländer als erster zu würdigen wußte: Menno ter Braak, damals Feuilletonchef der Zeitung "Het Vaderland". Der hatte das Buch beim Querido-Verlag durchgesetzt.Dort machte schon der Absatz berühmter Autoren wie Döblin, Roth, Feuchtwanger Schwierigkeiten.Und nun das Debüt eines Nobody? Doch Menno ter Braak bestand darauf: Dies sei der "erste wirkliche Exilroman", geschrieben von einem Schriftsteller, "der aus der Emigration geboren ist und den es ohne die Emigration nie gegeben hätte - eines der glücklichsten Zeichen im literarischen Leben der ganzen deutschen Emigration". 1940, als die Deutschen kamen, war es mit dem kurzen Glück der literarischen Anerkennung schon wieder vorüber.In einem Wandschrank versteckt, überstand der Gefährdete die Besatzung - "untergetaucht unter Freunden", wie die Erinnerungen des Leidensgenossen Claus-Viktor Bock überschrieben sind.Und wie ein dritter Holland-Exilant, Hans Keilson, baute Merz sich nach dem Krieg eine neue außerliterarische Existenz auf: zum Psychotherapeuten Keilson gesellt sich der Physiotherapeut Merz.Im Anschluß an den Zivilisationsbruch von 1933/1945 wurde körperlich-seelische Heilung wichtiger als Bücherschreiben. 36 Jahre brauchte es, bis der Autor Merz wieder zum Leben erwachte.Mit den Erzählungsbänden "Schlächter, Weib und Majestät", "Der Mann, der Hitler nicht erschossen hat", "Glücksmaschine Mensch", "Liebeskunst für Greise" und den dieser Tage erscheinenden Memoiren "Berliner, Amsterdamer und ach Jude auch" setzt der Jubilar seit den 70er Jahren sein Schreiben fort, in denen expressionistische Hyperbolik sich mit Berliner Schnoddrigkeit paart, eine oft ans Karnevaleske grenzende Groteske, die Geschichten aufrauht, in der Humor als Gegenkraft zum Schrecken mobilisiertwird. Das Humoristische dürfte auch dominieren, wenn Merz am Sonntag seine jüngste Veröffentlichung präsentiert, Moritz Rinke in einer Laudatio, Walter Schmidinger in einer Lesung den Autor würdigen (Maxim-Gorki-Theater, 11 Uhr).Dann wird auch nachzuvollziehen sein, daß Konrad Merz zwar aus Deutschland, aber nie aus der deutschen Literatur gefallen ist, die er um eine unverwechselbare Stimme bereichert hat, in der bei aller Helligkeit das Düstere dieses Jahrhunderts nachzittert.

TILMAN KRAUSE

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