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Kultur: Unter Leidwölfen

Woody Allen à la française: Agnès Jaouis „Schau mich an!“ kommt ins Kino

Sie sind ein verrücktes Paar, drüben in Frankreich und vielleicht überhaupt in der Welt. „Ja-Bac“ – so ziehen die Franzosen die Namen von Agnès Jaoui und Jean-Pierre Bacri zum Label zusammen, und ein Label ist ihre funkensprühende Wörterschmiede längst, ihr kluges, witziges, alles andere als kühles Wirklichkeitsverzauberungslabor. Jaoui, gelernte Schauspielerin (unter anderem bei Patrice Chéreau) und Bacri, gelernter Schauspieler (im Geschäft seit den frühen Achtzigerjahren), sind seit 1987 ein Paar im Leben, im Erfinden, und – übers Eck – auch im Spielen.

Erst schrieben sie Theaterstücke zusammen, dann entwickelten sie daraus Drehbücher und schrieben bald extra Drehbücher fürs Kino (etwa für die Resnais-Filme „Smoking/ No Smoking“ und „Das Leben ist ein Chanson“). Logisch, dass sie bald auch als Schauspieler in ihren selbst geschriebenen Rollen auftauchten; logisch, dass bald die Zeit reif war für das erste ganz eigene Werk, in dem beide selber wichtige Rollen spielten. Nur dass – in Sachen Regie – seither nur eine das Sagen hat, und das ist Agnès Jaoui.

Der Durchbruch kam mit einer scheinbar kleinen Provinzgeschichte. „Le goût des autres“ (deutscher Titel: „Lust auf anderes“) hieß Jaouis Erstling, der vor vier Jahren knapp vier Millionen Franzosen ins Kino lockte – ein sanftes Boulevardstück aus einer eher boulevardlosen Mittelstadt, eine Theater-im-Film-Story aus Ja-Bacs eigenem Schauspielermilieu und, nebenbei, „American Beauty“ sehr à la francaise: Ein etwas tumber mittelständischer Regionalindustrieller (eine Paraderolle für den Komödianten Bacri) wird vom Liebesblitz getroffen, als er seine ebenso langweilige wie accessoirebewusste Ehefrau ins Theater begleitet. Die sanft leidende Racine’sche Bérénice dort auf der Bühne, der er fortan nachstellt, lässt ihn hineinstolpern in den Clan der örtlichen Theaterleute: Vorhang auf für eine selbstironische, sauerstoffreiche, sehr zeitgemäße Sittenkomödie über Intellektuellendünkel und zu Geld gekommenes Kleinbürgertum – und die standesübergreifende Sprachlosigkeit mitten in einer plötzlich übergroßen Liebe.

Agnès Jaoui spielte in „Lust auf anderes“ als Bar-Kellnerin die Seele der lokalen Kreativ-Diaspora – eine warmherzig spöttelnde Beobachterin jener Szenerie, in der sich Bacri als rührender Elefant im Theaterladen fortwährend blamiert. Auch in „Schau mich an!“ sind Ja-Bac kein Paar, sondern die Hälfte jeweils anderer Paare, die miteinander in Berührung kommen. Bacri spielt einen kranzglatzigen ewigen Flegel: gehätschelt als Pariser Literaturstar Etienne, wird er zudem umhegt von einer hübschen, sehr jungen Frau (Virginie Desarnauts), der er auf seine späten Jahre mal eben noch ein Kind gemacht hat. Alles in einiger Ordnung, wenn da nicht seine dickliche, arg vernachlässigte 20-jährige Tochter aus erster Ehe wäre; als deren Gesangslehrerin Sylvie kommt Agnès Jaoui ins Spiel, die selber einen zerquälten Poeten namens Pierre (Laurent Grevill) durchfüttert– wobei die unvermutete Verbindung zum Literatur-Promi sich durchaus als nützlich erweisen könnte.

Doch damit deutet sich nur ein Teil der neuen Ja-Bac-Story an, die zur Abwechslung den Literaturbetrieb aufs Korn nimmt: eine unerbittlich sanfte Satire auf Macht und Heuchelei, auf intellektuelle Hack- und Hackenschlagordnungen sowie menschliche Alpha-, Beta- und Gammatiere. Die andere ist, im Gewande einer rührend holpernden Romanze, ein kleiner Entwicklungsroman: die schmerzhafte éducation sentimentale von Etiennes Tochter-Pummelchen Lolita (Marilou Berry). Was für ein schwarzer Witz von Vorname, den sie da durch ihr Leben tragen muss! Was für ein grauer Witz von Papa, der sich so gar nicht für sein „großes Mädchen“ interessiert! Und was für ein grellbunter Witz von Leben, in dem der Nutzen alles diktiert – vor allem der grässliche Nutzen, die Tochter eines einflussreichen Vaters zu sein!

Natürlich bleibt es nicht so, wir sind schließlich im Kino, zumal im französischen. Also werden die Schwachen auch mal stark, vorausgesetzt, sie tun irgendwann selbst etwas dafür. Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt, sagen die nicht gerade moralinsauren Ja-Bacs. Andererseits können auch die Starken sich unvermutet auf der anderen Seite wiederfinden – und da geben sie dann, immer noch eitel, das heulende Elend. Schon wittern andere, die bislang nur ein paar Allertreueste um sich scharen konnten, ihre Chance – und ihre erste Amtshandlung im Lande Großspurien ist es, sich eben jener treuesten Seelen zu entledigen. So sind die Menschen, sagt „Schau mich an!“: Tiere, die Leitwölfe brauchen, Tiere, die Beute aufspüren, Tiere, die ihresgleichen erledigen, bevor sie selber zur Beute werden.

Klar, diese Einsichten sind nicht neu. Aber wann hätte man sie schon in einem längenlosen 100-Minuten-Film zwischen Gesangsunterricht und Verleger-Meeting, zwischen Ehekrach und Wochenende auf dem Lande so entspannt runderneuert gesehen? Ein schöner Schuss Woody Allen steckt in diesem Film, etwas intellektuell Boulevardeskes, das sich vor allem durch den geschliffenen Dialogwitz verrät; doch wo Woody Allen selbst die anrührendste Situation immer noch virtuos nach ihrem Komik-Potential ausforscht, suchen Jaoui und Bacri in ihren Drehbüchern mitten in der Komik den winzigen, umso bewegenderen Augenblick der Wärme. In dem die Protagonisten dann natürlich nur wieder was Banales sagen: ganz wie im sogenannten richtigen Leben.

In Berlin im Delphi, fsk, International, Kulturbrauerei, Yorck und Cinema Paris (OmU); siehe auch Interview auf Seite 27

Voin Jan Schulz-Ojala

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