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Kultur: Unterschreiben Sie hier!

Alle fahren weg. Nur in den Parteizentralen herrscht Hochsaison. Heute: die

Na ja, Hochsaison, nicht wirklich. Ist ja auch sehr schwül an diesem Nachmittag, gefühlte 45 Grad. Bleierne Sonne über der Reinhardtstraße 15: Hier wohnt die FDP. Gegenüber mündet die Straße „Am Zirkus“, linker Hand protzt der Friedrichstadtpalast, Tingeltangel-Nachbarschaft. Die Partei zur Straße hin unauffällig seriös: ein Lädchen namens „fdp-info-point“. In blau-gelben Lettern steht „surfen“ und „diskutieren“ auf den Fenstern. Nach Diskutieren, mal ehrlich, ist mir nicht gerade. Und Surfen, das hatte ich schon morgens, auf der FDP-Website, vorangeklickt bis zum Aufnahmeantrag, und dann – huch! – stand da: „Meine persönliche Unabhängigkeitserklärung“. Will ich da etwa eintreten? Könnte mir so passen, mal eben an die Macht surfen mit Spaß-Guido und ErnstGerhardt. Muss wohl an der Hitze liegen.

Das Lädchen von innen: grau mit Plakattupfern in Blau-gelb. „Deutschland wechselt – wechseln Sie mit!“ Flyer, Parteizeitschrift und ganz viel Programmkommissionsschwarz auf Weiß. Und hinterm grauen Resopal-Tresen ein junger Mann am Computer (der Surfer? der Diskutierer?): Typ junger Martin Luther, bisschen bärtig, sehr rund, sympathisch. Jedenfalls nicht der vermutete Hantelbudendrahtmann mit Wir-AG-Dauerlächeln. Nur diskutieren will auch er nicht wirklich. So ohne Klimaanlage.

Nicht dass ich sage: Steh nur so rum, schau mich nur um. Frag schon dies und das, greif mir diesen Prospekt und jenes Strategiepapier. Nur das „Wechsel-Lexikon“, über 500 Seiten dick, das lass ich lieber rechts liegen. Erst als ich unvermittelt sage: „Übrigens trage ich mich mit dem Gedanken eines Parteieintritts“, kommt etwas Leben in die Bude. „Ach ja?“, macht Luther junior erfreut. „Das ist ganz einfach.“ Und reicht mir eine „Unabhängigkeitserklärung“.

Ziemlich klein, dieses Schaufensterchen einer kleinen Partei in dem prächtigen alten Backsteinbau. „Ein Fünftel der Räumlichkeiten“, so der Jungliberale mit nun leicht erhöhtem Eifer, gehöre der Partei und die Bundesgeschäftsstelle siedele im zweiten Stock. Und wieder ist Stille zwischen uns. Ganz recht, inhaltlich mögen wir heute beide nicht reden. Nur mal versuchsweise über Westerwelle und Gerhardt. Ob der Guido, den ich echt schätze, denn wirklich ministrabel sei, frage ich vorsichtig – so neben dem Gerhardt? Na, vielleicht beide, sagt er jetzt einfach mal, da ist er so frei. Könnten ja auch beide Minister werden.

Das Material gucke ich dann später an, kurz. So wie ich vorher im Netz gelesen habe, dass die FDP immer schon vorher da war, grundsätzlich vorher, sogar in der Ostpolitik. Brandt und Bahr, nur Fußnoten des Liberalismus, der damals übrigens richtig gute Tage hatte? Frag ich jetzt lieber nicht nach. Tu doch nichts. Tret auch nicht ein. Sitze stattdessen bald, einziger Gast, nebenan im Manzini, das als Durchgang für die FDP-Parteizentrale dient, und schlürfe kalte Joghurt-Gurken-Suppe. „Alles FDP hier?“, frage ich den Kellner (neinnein, beeilt er sich, die SPD macht bei uns immer ihren Neujahrsempfang). Und wo ich denn, ausnahmsweise benutze ich das alte Wort, mal austreten könne. Der Kellner weist mir die Tür.

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