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Kultur: Unvollendet

Die Komische Oper Berlin verabschiedet Carl St. Clair

Am Ende bringen die Musiker ihrem Chef ein Ständchen: „My Way“, den alten Sinatra-Klassiker. Carl St. Clair ist von seinem Podium gestiegen, hört zu, mit locker vor dem Bauch gekreuzten Händen, von seiner üblichen Dirigierarbeit entbunden. Ja, hier fällt der „final curtain“, von dem in dem Lied die Rede ist. Eine Opernaufführung wird der Amerikaner zwar noch leiten, aber dem letzten Sinfoniekonzert der Saison kommt symbolisch die Bedeutung der Abschiedsvorstellung zu. Nach nur zwei Jahren muss Carl St. Clair seinen Job als musikalischer Leiter der Komischen Oper wieder abgeben.

An den Musikern liegt es nicht, dass es keine Ära wurde, sondern nur ein Intermezzo. Nein, der 57-jährige Maestro ist mit dem langjährigen Intendanten Andreas Homoki aneinandergeraten. Zwei erwachsene Männer – wenn es da knallt, setzt sich der Stärkere durch. Bis zum Wechsel von Homoki nach Zürich übernimmt Patrick Lange, der Kapellmeister des Hauses, die Chefdirigentenstelle – eine glückliche hausinterne Lösung, mit der alle leben können.

Und doch schwingt viel Wehmut mit an diesem Freitagabend. Noch vor der Zugabe ist eine nonverbale Kommunikation zwischen Dirigent und Instrumentalisten zu erleben, die von Zuneigung und Respekt erzählt: Beim Schlussapplaus lässt Carl St. Clair zunächst das Orchester aufstehen, bevor er sich das erste Mal selbst verbeugt, später widerstehen die Musiker dann seiner Aufforderung, sich zu erheben, klopfen lange mit ihren Bögen an die Pulte. So sehen Teamworker aus.

Mag der Texaner auch nicht zu den besten Dirigenten der Welt zählen, einer der sympathischsten ist er allemal. Er brauchte nur eine einzige Probe, damals im Februar 2007, um einstimmig zum Nachfolger Kirill Petrenkos gewählt zu werden. Selten ist in Berlin ein Chefdirigent so wohlwollend empfangen worden: Die ersten Rezensionen schwärmen vom Charme des „Neuen“, von einer Wärme und Offenheit, die weit über professionelle amerikanische Freundlichkeit hinausgeht – und melden nur vorsichtig Vorbehalte bezüglich der künstlerischen Ergebnisse an. Ganz langsam erst flaut die Stimmung in den Feuilletons und beim Publikum ab. Weder in der Oper noch im Konzert kommt St. Clair auf Dauer über Solides hinaus.

Auch am Freitag enttäuscht Mahlers 1. Sinfonie. Lieblich steigt St. Clair ein, aquarelliert sonnige Landschaften, selbst das penetrante Flageolett der Streicher stellt für ihn keine Bedrohung der Idylle dar. Im zweiten Satz nimmt er die Spielanweisung „kräftig“ zu wörtlich, der Trauermarsch bleibt ein harmloses Kinderlied in Moll.

Das Orchester steigt voll auf die Lesart seines Chefs ein, engagiert, frisch und wach, folgt den Tai-Chi-Bewegungen dieses Mannes, der mit seiner silbernen Vokuhila-Matte immer wieder an einen Kranich erinnert. Spielkultur und Klangbild haben unter Carl St.Clair jedenfalls nicht gelitten. Doch wo jede Doppelbödigkeit fehlt, wo das Finale naiv als Special-Effects-Feuerwerk ausgereizt wird, bleibt von Gustav Mahlers Psychogramm seiner Epoche nur Filmmusik übrig.

Den Traum, an der Behrenstraße amerikanische Opern zu dirigieren, hat Carl St. Clair nicht mehr verwirklichen können. Aber er hat immer wieder Überraschendes aus seiner Heimat präsentiert. Am Freitag eröffnete Osvaldo Golijovs „Dreams and Prayers of Isaac the Blind“ von 1994 den Abend, ein Konzert für Klarinette und Orchester, das nicht weniger will, als die Geschichte des jüdischen Volkes zu skizzieren. Doch Golijov macht daraus keine verkopfte Angelegenheit, sondern Unterhaltungsmusik mit dem gewissen Oh-là-là, die ganz von David Krakauers aberwitziger Virtuosität lebt. Der Chef der Band Klezmer Madness! ringt seinem Instrument die schrillstenTöne ab, verfällt unvermittelt in tiefste Traurigkeit, fetzt wieder richtig los. Schließlich aber verhallt das Stück im Pianissimo. Ein bittersüßes Unhappy End – nicht die schlechteste Metapher für diesen Abschiedsabend. Frederik Hanssen

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