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Kultur: Ur, gemütlich

Gregor Schneider hat seine archaischen Installationen in Hamburg aufgebaut

Bislang war St. Georg draußen vor der Tür. Jetzt ist es mit aller Macht eingebrochen in die Hamburger Kunsthalle. Ein Stück vom Steindamm, ein Hinterhof mit schäbigen Fassaden, Belüftungsschächten und Wasserrohren, hat sich geradewegs in die altehrwürdige Rotunde gebohrt. Den Wurmfortsatz aus dem Drogen- und Stricher-Milieu, als öffentlicher Raum ungehindert 24 Stunden lang vom Bahnhofsplatz aus zu erreichen, ist Gregor Schneiders Gastgeschenk an die Hanseaten zu seiner ersten großen Ausstellung „Gregor Schneider, Hannelore Reuen“.

Wer allerdings glaubt, durch diese Straße in die Sammlung zu gelangen, wird enttäuscht. Wie so oft bei Schneider landet der Besucher in einer Sackgasse. Also wieder raus und über den windigen Platz in die Galerie der Gegenwart. Dort, im weitläufigen Sockelgeschoss, hat der obsessive Baumeister aus Rheydt, der 2001 für sein „Totes Haus ur“ auf der Biennale in Venedig den Goldenen Löwen erhielt und seitdem als Star hofiert wird, seine klaustrophobischen Räume aus bisherigen Ausstellungen gedoppelt und durch Skulpturen, Videos und Fotowände ergänzt.

Seit der Pubertät vergewissert sich Gregor Schneider seiner Existenz durch Mörtel und Mauern. Als 16-Jähriger begann er, das leerstehende „Haus Ur“ auf dem väterlichen Fabrikgelände zu erobern und nach seinen Wünschen in einen Baukasten aus Zimmern, Kammern, Nischen, Gängen, Winkeln, Fluren, Hohl- und Zwischenräumen zu verwandeln. Schicht um Schicht, gleich seinem Gehirn ist hier im Laufe der Jahre ein Raum-Labyrinth entstanden, wie es Kafka oder Hitchcock nicht hätten albtraumhafter erfinden können.

Grundsätzlich untersucht der heute 33-jährige Schneider die Auswirkungen der Veränderungen auf Stimmungen und Verhalten. „Ich wiederhole Räume“ sagt er lakonisch, doch dieses Wiederholen ist mehr als ein bloßes Verdoppeln. Es ist das Konservieren von Zeit, ein In-die-Welt- Spucken von Erinnerungen, aus den Tiefen des Unbewussten. „Gregor Schneider baut seiner Seele ein Haus“ schrieb Venedig-Kurator Udo Kittelmann im Biennale-Katalog. Wollte man alle hellen und dunklen Seiten erkunden, müsste man das Haus wie eine Zwiebel schälen und somit zerstören. Nur wenige Eingeweihte konnten bisher das Opus Magnum im Original in Augenschein nehmen und dabei vor Ort überprüfen, ob die ominöse Mieterin und Mitarbeiterin, die „alte Hausschlampe“ Hannelore Reuen existiert.

In Hamburg taucht sie tatsächlich auf. Wie Müll in eine Ecke geschmissen, mit verrenkten Gliedmaßen, aber lebend. Wer Auskunft über sie sucht, wird auf den Katalog verwiesen. In einem Interview nimmt sie ausführlich Stellung zu ihrer Beziehung mit Schneider und dass der sie offenbar los werden will. Aber die Unsicherheit bleibt. Und das - natürlich - soll sie auch: Schneider liebt Verwirrungen in jeder Hinsicht: Das Versteckspiel um seine Person und sein Alter ego, das Vertauschen von Innen- und Außenräumen, von Realität und Fiktion. Vor den Medien lässt er sich nicht blicken, doch angeblich soll er höchstpersönlich in dem „Müllsack in Wichsecke“ stecken, einem gedoppelten Raum, der 1999 für Bremerhaven entstand.

Sechs Räume hat er in der Galerie der Gegenwart nachgebaut, darunter auch die Garage aus Rheydt, in der sich der Legende nach ein Rentner hinter dem Steuer seines Wagens den lieben langen Tag über volllaufen lässt. Wie in jedem Raum sind auch hier minutiös Alterungsspuren nachgemalt. Kein Zweifel, Beuys, Kabakow und Kienholz zählen zu Schneiders geistigen Vätern. Doch dieser blonde junge Mann versteht es noch stärker, Emotionen freizusetzten, den Besucher ins Geschehen einzubeziehen.

Spätestens nach zehn Minuten Rundgang ist die Orientierung futsch und leichte Panik steigt auf, hier im Museumskeller mit dem „Toten Mann“, dessen Füße aus einem Zwischenboden herausschauen, mit der verdreckten Matratze und dem im Heizkörper eingeklemmten Steak bis zum bitteren Ende ausharren zu müssen.

Hamburger Kunsthalle, bis 11. Mai. Di bisSo 10-18 Uhr, Do bis 21 Uhr.

Isabelle Hofmann

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