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Szene aus "M - eine Stadt sucht einen Mörder" an der Komischen Oper

© Monika Rittershaus

Uraufführung an der Komischen Oper: Kopfgeburt mit Kaiserschnitt

Barrie Kosky, Ulrich Lenz und Moritz Eggert bringen „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ auf die Bühne der Komischen Oper

Da staunt sogar die „New York Times“: Die „three world-class companies“ der Berliner Opernstiftung haben innerhalb von 16 Wochen fünf große Uraufführungen herausgebracht. „Keine Stadt weltweit“, lobt A. J. Goldmann im US-amerikanischen Leitmedium, könne es in Sachen Vielfalt des Musiktheaterangebots mit Berlin aufnehmen.

Der neue Intendant der Staatsoper, Matthias Schulz, ging mit gutem Beispiel voran, im Rahmen seines „Linden 21“ genannten Engagements fürs Zeitgenössische kamen gleich drei neue Werke heraus: Beat Furrers „Violetter Schnee“, „Himmelerde“ als Koproduktion des Ensembles Familie Flöz und der Musicbanda Franui sowie eine Neufassung von Jörg Widmanns „Babylon“. Am 28. April wurde Detlef Glanerts Fontane-Vertonung „Oceane“ an der Deutschen Oper zum Triumph und am Sonntag nun folgte an der Komischen Oper „M – eine Stadt sucht einen Mörder“.

Zusammen mit seinem Chefdramaturgen Ulrich Lenz hat Intendant Barrie Kosky den legendären Film von Fritz Lang bearbeitet, Passagen aus dem Drehbuch mit Kinderliedern sowie Gedichten von Walter Mehring aus den 20er Jahren so montiert, dass eine operntaugliche Fassung entstand.

Kinder spielen Erwachsene, ihre Stimmen kommen aus dem Off

Bei Lang spricht der Protagonist bis zur Finalszene kaum ein Wort, die Musiktheaterversion dagegen soll es dem Publikum ermöglichen, in den Kopf des Pädokriminellen zu kriechen. Mit hohem gedanklichen und personellen Aufwand gehen Kosky und Lenz zu Werke, auf der Szene bewegen sich neben dem Bariton Scott Hendricks als M ausschließlich minderjährige Statisten, die Erwachsenenköpfe aus Pappmaché tragen. Sechs im Orchestergraben platzierte Schauspielerinnen und Schauspieler geben ihnen Stimmen. Eine weitere tragende Rolle spielt der Kinderchor der Komischen Oper, der aber weitgehend aus dem Off singt.

Ob dieser M die Verbrechen überhaupt begeht, lassen die Bearbeiter bewusst offen. Vielleicht findet alles auch nur in seiner Fantasie statt, bietet Kosky an, der natürlich auch Regie führt – oder das Ganze ist „nur ein seltsam makabres Kinderspiel“. Ulrich Lenz wiederum stellt im Programmheft die Frage nach der Schuldfähigkeit von geistig kranken Kapitalverbrechern, nach dem Motto: Es sind die Verhältnisse, es ist die Gesellschaft selber, die solche Ungeheuer gebiert.

M soll ganz normal wirken, mit Jeans und Sneakers

Während Fritz Langs Film seine Kraft ja gerade daraus gewinnt, dass er Psychogramme des Täters wie der Gesellschaft zeichnet, also allen Beteiligten emotional sehr nahe kommt, verweigert sich die Opernversion der Eindeutigkeit, rückt das Geschehen durch die Trennung der sichtbaren Akteure von ihren Stimmen ins Abstrakt-Künstliche. Was leider überhaupt nicht funktioniert. Denn die Kinderstatisten, denen man gesagt hat, dass sie zu den eingesprochenen Texten gestikulieren sollen, machen das natürlich auf eine zappelig-übertriebene Weise, wie Laien das tun. Und die Profis wiederum müssen ihre Stimmen dazu grotesk verstellen, die Dialoge der Polizisten, Hausfrauen und Verbrecher schmierenkomödiantisch überzeichnen, was dann genauso karikaturhaft wirkt.

Nicht nur einen Verfremdungs-, sondern einen Entfremdungseffekt fügt Scott Hendricks in der Titelrolle hinzu: Kostümbildnerin Karin Kath zeigt ihn als heutigen Normalo in Polohemd, Jeans, Sneakern. Doch genauso agiert er auch, absolut durchschnittlich nämlich. Da ist keine Aura, keine Faszination des Bösen oder zumindest des Zweideutigen. Hendricks zeigt kaum Körperspannung, nicht einmal seine Stimme hat wirklich einen eigenen, einprägsamen Klang, wenn er die Songs singt, die Moritz Eggert ihm komponiert hat.

Die Partitur ist ein wilder Stilmix

Alles Mögliche kann man aus der Partitur heraushören, die zur klassischen Orchesterbesetzung einen wortlosen Chor sowie zwei unsichtbare Solisten (Alma Sadé und Tansel Akzeybek) hinzufügt, außerdem E-Gitarre, Saxofon, Akkordeon und vier Keyboards: Was Generalmusikdirektor Ainars Rubikis da mit fliegenden Händen im Graben koordiniert, klingt mal nach Kurt Weill, mal nach 80er-Jahre-Disco, mal nach Filmmusik mit Bläserbombast, dann wieder nach Atmo- Klangteppich. Das hält die Geschichte zwar in der Schwebe zwischen Einst und Jetzt, ist künstlerisch aber letztlich so unentschieden wie die Dramaturgie.

Und weil zumindest im 2. Rang auch von dem Surround-Sound, den Moritz Eggert versprochen hatte, nichts zu merken ist, blickt man 100 Minuten lang auf ein Geschehen, das zwar nahtlos abschnurrt, dem Betrachter emotional aber enttäuschend fern bleibt.

Wieder am 11. und 24. Mai sowie am 9., 22. und 26. Juni.

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