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Kultur: Urbane Großform

Eine reizvolle Gelegenheit zum Vergleich zweier Entwürfe zu derselben Aufgabe gestatten die Ausstellungen, die die beiden Berliner Architekturgalerien Aedes East und suitcase architecture derzeit zeigen. Das Vorhaben ist die "Europäische Bibliothek für Kommunikation und Kultur", die am Rand der Mailänder Innenstadt erstehen soll.

Eine reizvolle Gelegenheit zum Vergleich zweier Entwürfe zu derselben Aufgabe gestatten die Ausstellungen, die die beiden Berliner Architekturgalerien Aedes East und suitcase architecture derzeit zeigen. Das Vorhaben ist die "Europäische Bibliothek für Kommunikation und Kultur", die am Rand der Mailänder Innenstadt erstehen soll. Die Entwerfer sind das Münsteraner Duo Bolles + Wilson, siegreich aus dem Wettbewerb des vergangenen Jahres hervorgegangen, und ihr unterlegener Konkurrent Jo Coenen.

Der niederländische "Reichsbaumeister" wird bei Aedes East mit verschiedenen Projekten vorgestellt. Bibliotheken müssen die gegensätzlichen Anforderungen eines licht- und klimageschützten Magazinbereichs, eines möglichst von Tageslicht erhellten, ruhigen Lesebereichs und zudem einen auf regen Publikumsverkehr eingestellten Ausleihbereich vereinen. Die räumliche Trennung dieser Funktionen bietet sich an, wie es Coenen in seinen Entwürfen unter anderem für Dortmund (1995) vormacht. Anders Bolles + Wilson, deren Entwurfszeichnungen bei suitcase präsentiert werden: Sie legen den Ausleihbereich ins zweite Obergeschoss und damit ins Zentrum ihres Gebäudes, von dem aus zwei Lesetrakte fingerförmig in den Stadtraum ausgreifen.

Man könnte den Entwurf des Duos, die mit der Stadtbücherei von Münster Ende der achtziger Jahre den gefeierten Prototyp einer publikumsfreundlichen Bücherei geliefert haben, unter "gemildertem Dekonstruktivismus" rubrizieren, so sehr nehmen sie den Zusammenhang des Gebäudes auseinander, um ihn hernach als urbane Skulptur neu zusammenzufügen. Coenen hingegen vereint bei seinem Entwurf alle Funktionen unter einem mächtig auskregenden Dach, was prima vista die für das Mailänder Klima angemessenere Lösung zu sein scheint. Auch bei seiner Bibliothek im neuen Stadtviertel Centre ceramique von Maastricht, dem schon Aldo Rossis Bonnefanten-Museum einen witzigen Akzent verliehen hat, setzt Coenen auf den räumlichen Zusammenhang unter einem, allerdings von überaus schlanken Rundpfeilern getragenen Dach. Anklänge an die fünfziger und sechziger Jahre finden sich im zweigeschossigen Foyer, das von einer rhythmisch schwingenden Galerie durchzogen wird, wie bereits schon der Dortmunder Entwurf mit einem Hochbau auf schräg auskragenden Stelzen an die Nachkriegszeit erinnert.

Als urbane Großform vermag der Entwurf von Bolles + Wilson sicher stärker zu beeindrucken, auch wenn das für das Funktionieren einer Bibliothek ohne Belang ist. Die Dortmunder Konkurrenz gewann seinerzeit übrigens ein dritter Großer der Gegenwart: Mario Botta.

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