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Kultur: Urgewaltig

Musikfest: Luisi und die Sächsische Staatskapelle

Da ist er, der geschichtssatte Sound der „Wunderharfe“, wie Wagner die Sächsische Staatskapelle einst nannte. Barriquegereifter Klang, plastisch-klare Konturen, schimmerndes Timbre. Von Historie getränkt ist der Abend in der Philharmonie allemal: mit der „Alpensinfonie“, die Richard Strauss seinem UraufführungsOrchester gewidmet hat, vorgetragen am Uraufführungsort Berlin (wie zuletzt 1998 unter Sinopoli, zum 450. Geburtstag des weltältesten Orchesters), dirigiert vom nagelneuen Chefdirigenten Fabio Luisi zum Auftakt seiner Einführungstournee. Obendrein setzt die gestern erschienene „Alpensinfonie“-CD den Dresdner Gesamteinspielungsmarathon von Strauss’ konzertantem Œuvre fort.

Also das Monstrum, Strauss’ letztes Orchesterwerk. Sonnenaufgang im Zeitraffer, nervöse Hybris mit keckernder Klarinette. Kein Gipfelsturm, sondern eine rastlose, panische Expedition. Luisi, der 48-jährige Genueser, dessen Rückenansicht einen unentwegt an Caspar David Friedrichs Nebelmeer-Wanderer im Gehrock erinnert, meldet lautstark Zweifel am auftrumpfenden Gestus an und kehrt das Grenzgängerische an Strauss hervor: betont das Dickicht der Mittelstimmen, das Geräuschhafte, die unendliche Verlorenheit der Oboenklage und den Zufall, der den Naturlaut versprengt. Unwirsch deformiert das Gewitter die Windmusikmaschine namens Orchester – eine wahre Klimakatastrophe. Vielleicht geht Strauss ja am ehesten so: als energisch-vergeblicher Einspruch gegen das majestätische Hochgebirge der Spätromantik. Ein wissentlich heilloses Unterfangen. Schade nur, dass die Dresdner vor lauter Erschöpfung die Meisterschaft zum Ende hin mit unachtsam-verklapperten Einsätzen und nachlassender Spannung verspielen.

Edgar Varèses Monumentalstück „Arcana“ (2 Tuben! 8 Hörner! 17 Schlagzeuger!) hatte den Abend mit einem Fanal eröffnet. Messerscharf verkantete Klangblöcke, funkelnde Präzision, Mikro-Dynamik, Schreie und Flüstern – Feuer auf Eis. Hellsichtiger lässt sich das vertrackte Werk kaum interpretieren. Nur Beethovens viertes Klavierkonzert bleibt seltsam blass zwischen Varèse und seinem Förderer Strauss. Was daran liegt, dass Hélène Grimaud sich zwar erneut als Weltmeisterin des Trillers erweist, ihr watteweicher Anschlag mit der Vollmundigkeit der Staatskapelle aber schlecht korreliert. Hier die philosophisch gründelnde Traumtänzerin, dort die unerschrockenen Weckrufer: zwei Welten, zwei Sphären. Auf dem gemeinsamen Tourneeprogramm steht Beethoven sechs weitere Male. Vielleicht finden sie sich ja noch. Christiane Peitz

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