zum Hauptinhalt
Das Klappmenü macht's einfach. Die Kopierfunktion einer modernen Textverarbeitung.

© dpa

Urheberrecht: Mein Text gehört mir (nicht)

Wie soll ein neues Urheberrecht für Deutschland und Europa aussehen? Die "Neue Rundschau" sammelt Perspektiven in 34 Beiträgen.

Von Gregor Dotzauer

Welches Durcheinander von Manifesten, Positionspapieren, Gesetzentwürfen und Invektiven. Einer verdächtigt den anderen als Lobbyisten, und keiner versteht, was den nächsten treibt. Heillose Verwirrung ist aber nur der Effekt des Streits um eine Neufassung des deutschen und europäischen Urheberrechts, das der digitalen Herausforderung dieser Jahre genügt. Zugrunde liegen ihm tatsächlich schwer vereinbare Interessen. Wie vertrackt die Sache ist, fächert die „Neue Rundschau“ (S. Fischer Verlag, 2015/4, 15 €) nun in 34 Beiträgen aus den verschiedensten Bereichen auf.

Wer sich schon immer fragte, was die scheinbar rein philanthropische „Open Access“-Bewegung mit dem Raubrittertum musikalischer Streamingdienste verbindet und wo sich die Sorgen literarischer Verleger mit den Nöten des Plagiats bezichtigter Remixer treffen, der findet hier reichen Aufschluss. Das juristische Graubrot, das es dabei zu kauen gilt, nährt indes nicht nur die Lebenssäfte von Dachkammerpoeten und Kellerkindern. Es hat Folgen für die Vitalität der ganzen Kultur. Und: Es scheint fast unmöglich, alle Anwendungsfälle über den Kamm eines einzigen Urheberrechts zu scheren.

Schon Lösungen für einzelne Gebiete wirken verwegen. Der Zürcher Wissenschaftshistoriker Michael Hagner sieht im Fall des wissenschaftlichen „Open Access“-Publizierens ein „Konglomerat aus Geldströmen, moralischen und epistemischen Ökonomien, post-Gutenberg’scher Technophilie und New Public Management“ am Werk, das sich als einheitliches Phänomen gar nicht fassen lässt. Die schöne Absicht, allen Menschen gratis Zugang zu Forschungsergebnissen zu gewähren, die sie durch Steuern ohnehin selbst bezahlen, könnte sich als Bumerang erweisen, indem Verlagsmonopolisten (etwa die britische RELX Group) den Bibliotheken zwar kein Geld für überteuerte Abonnements mehr abknöpfen, die Kosten des Hostings aber auf die Autoren abwälzen. Der Münchner Germanist Stephan Kammer sieht in der Debatte, die sich allzu gern im Rahmen überholter Muster wie der Buch-Netz-Feindschaft abspielt, überdies eine Ablenkung vom Eigentlichen: dass nämlich „der Systemfehler des akademischen Publizierens ein funktionierendes digitales Double gefunden“ hat.

Sind Zaubertricks urheberrechtlicht geschützt?

Wer verdient woran? Und was legitimiert seine Ansprüche? Anna-Sophie Jürgens rührt an die Schutzfähigkeit künstlerischer Produktion allgemein, wenn sie sich Zirkusakrobaten und Magiern widmet. Urheberrechtlich nämlich sind „Zaubertricks als technische Anweisungen gemeinfreie Grundfiguren“. Patentrechtlich lassen sie sich, wenn dabei komplexe technische Apparaturen zum Einsatz kommen, durchaus schützen.

Die philosophische Frage dabei lautet: Was ist überhaupt geistiges Eigentum? Oder noch ursprünglicher: Was ist Kreativität? Der Rabbiner Walter Rothschild weist darauf hin, dass es im Judentum darüber kaum Aussagen gibt, „aus dem einfachen Grund, dass unsere grundlegenden Texte aus Zeiten stammen, wo sogar das Kopieren eines Textes sehr arbeitsaufwendig war“. Sein Befund lässt sich wohl auf alle Religionen ausdehnen. Die praktische Frage aber lautet: Was heißt gegenwärtig Urheberrecht?

Einer der scharfsinnigsten Köpfe der Debatte, der Anwalt Till Kreutzer, stellt eine Kurzversion seines „Berliner Gedankenexperiments“ vor, das seinen „Geburtsfehler“ herausstellt. (Vollständig auf der von ihm initiierten Plattform irights.info). „Es heißt zwar Urheberrecht, wird aber in den weitaus meisten Fällen gar nicht vom Urheber, sondern von einem Verwerter, also einem kommerziellen Unternehmen wahrgenommen.“ Darin ist er sich mit dem Konzertveranstalter Berthold Seliger einig: „Hierzulande herrscht Verwerterrecht.“

Kreutzer wendet ein, dass der Urheber „durch einen einzigen Handstreich, seine Unterschrift unter einen Vertrag oder einen Klick auf die ,Autorenbedingungen’ in einem Onlineformular, mehr oder weniger alle Rechte weggeben“ kann – und oftmals muss. Mit Mickerhonoraren abgespeiste Fotografen und Journalisten können von diesem „Total Buyout“ ein Lied singen, der in kapitalintensiveren Bereichen wiederum für alle Beteiligten Vorteile hat. Kreutzer schlägt daher vor, die Interessengruppen künftig in Urheber, Verwerter, Nutzer und Vermittler mit je eigenen Rechten und Pflichten aufzuteilen, die sich bei Kollisionen klarer miteinander vermitteln lassen als bisher.

Dazu müssten alle in der Ernährungskette jedoch einsehen, dass ihnen mit einer – unwahrscheinlichen – Grundsatznovelle mehr geholfen wäre als im modernisierenden Herumschrauben an einem aus der Gerechtigkeitsbalance geratenen Gesetz. Die Krimiautorin Nina George, Gründerin der Initiative www.fairerbuchmarkt.de, verteidigt mit erfrischender Verve ihre Urheberperspektive und attackiert dabei die an piratischen Irrsinn grenzenden Vorstellungen grüner Netzpolitiker, kurz: NePos. Ihr Rundumschlag erstickt aber jeden noch so interessanten Ansatz in ihrer Wut.

Sie hat recht, dass „jedem BWL-Anfänger klar sein müsste, dass sich nicht für 9,99-Monats-Euro alle Songs, Filme, Bücher, Games der Welt frei verwenden lassen, ohne sich über Re-Investition, Langzeitwirkung, Vielfalt und Gerechtigkeit Gedanken zu machen.“ Doch über den Betrag ließe sich zur Not reden, nicht aber über die Horrorvorstellung einer Super-Gema. Niemand erwartet zudem, dass sie ihre Romane künftig einer Creative-Commons-Lizenz unterstellt.

Auch literarisch vertritt sie völlig andere Interessen als die Helden der Appropriation Literature, über die Annette Gilbert schreibt. Diese Form der Aneignung existierender Texte sucht gewissermaßen nach dem ontologischen Status einer im Unterschied zu Malerei beliebig oft reproduzierbaren Kunst. Vanessa Place tweetete Margaret Mitchells „Gone With The Wind“ Satz für Satz als rassistischen Skandal – um schließlich selbst als Rassistin dazustehen. Pablo Katchadijian übernahm Jorge Luis Borges’ Erzählung „Das Aleph“ und ergänzte sie um eigene Wörter im Stil des argentinischen Meisters. Es gibt gute Gründe, diese Spielart der Konzeptkunst kreuzlangweilig, ja überflüssig zu finden, weil die von ihr angestifteten Überlegungen auch platz- und zeitsparender zu haben sind. Sie zum Anlass zu nehmen, Leute hinter Gitter bringen zu wollen, ist allerdings ein noch sehr viel schlechterer Witz.

Zur Startseite