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Kultur: Urheberrecht: Regeln gegen die Kunst

Wenn dieser Tage Verleger zusammenstehen, geht es nur um ein Thema: die geplante Änderung des Urheberrechts. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, eine in der Welt einmalige neue Regelung zu schaffen, die auf besondere Weise die "vertragliche Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern" stärken soll.

Wenn dieser Tage Verleger zusammenstehen, geht es nur um ein Thema: die geplante Änderung des Urheberrechts. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, eine in der Welt einmalige neue Regelung zu schaffen, die auf besondere Weise die "vertragliche Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern" stärken soll. Und das ist so gedacht: Der Gesetzgeber legt fest, dass jeder Autor, Übersetzer, Fotograf, Filmemacher oder Musiker "Anspruch auf eine angemessene Vergütung" hat, unabhängig davon, was dieser mit dem jeweiligen Verwerter (Buchverlag, Zeitung, Rundfunk- oder Fernsehanstalt) vereinbart hat. Meint ein Urheber, einen Vertrag geschlossen zu haben, der nicht üblich ist und seinen Ansprüchen nicht "angemessen" Rechnung trägt, kann er nachträglich zu jedem beliebigen Gericht gehen und seinen Vertragspartner, also beispielsweise seinen Verleger, auf Nachzahlung verklagen.

Und nicht nur das. Er kann auch diejenigen in Regress nehmen, mit denen sein Verleger inzwischen Lizenzverträge zur weiteren Nutzung geschlossen hat, etwa für Zeitungsvorabdrucke oder Taschenbuchausgaben oder Hörspielbearbeitungen, wenn er denn den Eindruck hat, nicht "angemessen" beteiligt worden zu sein. Auch wenn er zuvor mit der im Vertrag vereinbarten Summe einverstanden war.

Damit nun ein Richter in der Provinz, der sonst kaum mit dem Urheberrecht zu tun hat, beurteilen kann, was eigentlich im Buch-, Film- oder Musikbereich gerade "angemessen" ist, sollen Vereinigungen von Urhebern und Verwertern "gemeinsame Vergütungsregeln" erarbeiten. Das muss man sich dann wohl als tabellarisch festgeschriebene Regelsätze denken, etwa derart, dass ein Schriftsteller immer acht bis zehn Prozent des Ladenpreises von jedem verkauften Buch zu bekommen hat.

Westpaket, Geschenksendung

Hier setzt nun die große Sorge der Verleger ein. Das zentrale Problem besteht darin, dass damit die bisherige Vertragsfreiheit de facto abgeschafft wird. In jedem anderen Bereich gelten geschlossene Verträge, wenn sie denn nicht "sittenwidrig" sind, nur bei uns würden getroffene Vereinbarungen - auch mit ausländischen Lizenznehmern - unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Änderung stehen. Das könnte amerikanische Partner dazu veranlassen, doch lieber gleich Buchlizenzen in Frankreich oder den Niederlanden einzukaufen, weil man dort mit Sicherheit weiß, woran man ist. Zum anderen aber gibt es eine große Ungewißheit, ob denn mit den geplanten "gemeinsamen Vergütungsregeln" jemals all die vielfältigen und oft höchst ungewöhnlichen Vereinbarungen in unserem kreativen Geschäft erfasst werden können.

Dazu drei praktische Beispiele aus unserem Verlagsalltag. Erstens: An dem Sammelband "Das Westpaket - Geschenksendung, keine Handelsware" waren zwei Herausgeber, 14 Textautoren, 38 Briefautoren, 12 Fotografen, 14 Bildarchive, zehn Privatarchivare und vier Künstler beteiligt - eben ein buntes Westpaket mit vielen Überraschungen. Wie aber sieht für jeden Beteiligten eine "angemessene Vergütung" aus? Wir haben uns zusammengesetzt und uns einvernehmlich auf diese Variante verständigt: Die Herausgeber sind in einem bestimmten Maß am Umsatz beteiligt, der jeweils nach einem Jahr abgerechnet wird. Die Textautoren haben ein Pauschalhonorar erhalten, das gleich bei Erscheinen gezahlt wurde. Die Briefautoren sind mit mehreren Belegexemplaren vergütet worden. Für die Fotografen und Künstler gab es einen Einheitstarif. Nach dem neuen Gesetz könnte nun theoretisch jeder der über 100 Beteiligten vor Gericht ziehen, wenn er sich innerhalb dieses komplizierten Geflechts nicht als "angemessen" vergütet empfindet.

Zweitens: Ein Fotograf, bereits durch viele Ausstellungen, Zeitschriftenveröffentlichungen und Filme bekannt, kam zu uns mit der Idee seines ersten Bildbandes, den er sich zum Zwecke künftiger Auftragsakquisition besonders repräsentativ wünschte. Wenn der Verlag ihm ein besonders gutes Papier spendieren, seine Schwarz-weiß-Fotos mit einer zusätzlichen Farbe drucken und das Layout in die Hände einer prominenten Gestalterin legen würde, wäre er bereit, auf ein Honorar zu verzichten. Wir wurden uns bald per Handschlag einig. Entstanden ist der großformatige Prachtband mit zehn Porträtzyklen und begleitenden Texten. Theoretisch könnte der Fotograf nachträglich reklamieren, dass er nicht "angemessen vergütet" worden sei, da üblicherweise in anderen Häusern richtige Honorare gezahlt würden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich unsere außergewöhnliche Vereinbarung im Regelungswerk wiederfindet, die dann ein Richter als Beurteilungskriterium zugrunde legen müsste. Ähnlich wäre es bei jungen Autoren, die endlich ihr erstes Buch in der Hand halten wollen und gern einen Teil ihres Honorars an einen Verlag abgeben, der bereit ist, ein aufwendiges Entwicklungslektorat zu finanzieren und damit dem Werk überhaupt erst zu einer Marktchance verhilft.

Mehr Ausnahmen als Regeln

Drittens: Bei unseren Nebenrechtsabschlüssen gibt es oft gute Gründe, um vom Üblichen abzuweichen, was wir ungern nachträglich kriminalisiert sehen möchten. Unser Autor Thomas Kunze war es, der mich gedrängt hat, einen Vertrag für die rumänischsprachige Ausgabe seiner Ceausescu-Biografie abzuschließen, auch wenn der dortige Kleinverlag kein garantiertes Mindesthonorar zahlen kann. Ihm lag vor allem daran, dass in Rumänien endlich eine öffentliche kritische Auseinandersetzung mit dem Diktator beginnt. Er war gern bereit, das entsprechende Risiko auf dem schwierigen rumänischen Markt mitzutragen. Nach dem neuen Gesetz müsste ich mir ein paar Jahre später womöglich von einem Gericht sagen lassen, ich hätte gegen die Regeln einer üblichen Vergütung verstoßen.

Die Sorge von uns Verlegern ist einfach, dass das neue Gesetz, das in aller Eile am letzten Donnerstag seine erste Lesung im Bundestag erfahren hat, bei nachvollziehbaren guten Absichten doch über das Ziel hinausschießt. Niemand hat etwas dagegen, dass Autoren für beide Seiten "angemessen" vergütet werden und dass es dazu auch Richtwerte und Empfehlungen gibt, so dass krasse Fehlverhältnisse angegangen werden können. Nur scheint der eingeschlagene Weg alle geschlossenen Verträge nachträglich anfechtbar zu machen und der falsche Weg zu sein.

Unnötige Hürden

Das geplante Gesetz baut zusätzliche Regelungshürden auf, die das praktische Arbeiten nicht erleichtern, sondern unnötig verkomplizieren. Gerade für uns kleinere und mittlere Verlage, die wir nicht fertige Bücher von Agenten einkaufen, sondern mit jungen Autoren außergewöhnliche Projekte entwickeln, die erst durch mitunter ausgefallene Vertragslösungen möglich werden. Als Auswirkung ist zu befürchten, dass sich die Verlage auf einfache, risikolose Vorhaben innerhalb des Regelkanons zurückziehen werden. Das aber kann kaum im Sinne der Urheber sein, die ja durch die Gesetzesinitiative eigentlich gestärkt werden sollen. Und auch nicht im Sinne der Leser, denen eigenwillige Bücher verlorengingen.

Aus dem Bundsjustizministerium verlautete, dass es vor der zweiten Lesung im Herbst eine Anhörung der Verleger geben soll und man noch Möglichkeiten einer Flexibilisierung sehe. Auch Wolfgang Thierse forderte Verleger und Politiker zum Gespräch auf, mit dem Hinweis, es sei möglich, einvernehmliche Regelungen zu finden. Es wäre im Interesse einer vielfältigen Kulturlandschaft dringend geboten, Vorurteile von armen, übervorteilten Künstlern einerseits und raffgierigen Verwertern andererseits über Bord zu werfen und einen Ausgleich zu suchen, der den erforderlichen Handlungsspielraum sichert und beide Seiten "angemessen" beteiligt.

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