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Urteil: Bundesgerichtshof bestätigt "Esra"-Verbot

Der stark autobiografisch gefärbte Roman "Esra" des Schriftstellers Maxim Biller (Foto) bleibt verboten. Der Bundesgerichtshof verwarf am Dienstag in Karlsruhe die Revision von Billers Verlag Kiepenheuer & Witsch und bestätigte damit ein Urteil des Oberlandgerichts München.

Karlsruhe (21.06.2005, 19:47 Uhr) - Laut BGH greift der - seit der ersten Fassung bereits entschärfte - Roman in schwerwiegender Weise in das Persönlichkeitsrecht von Billers Ex- Freundin und deren Mutter ein. Die beiden Frauen seien in den Romanfiguren Esra und Lale zumindest für ihren Bekanntenkreis erkennbar. Ob der Kölner Verlag gegen das Urteil Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegt, ist nach Auskunft einer Sprecherin noch nicht entschieden. (Aktenzeichen: VI ZR 122/04 vom 21. Juni 2005)

Nach Auffassung des Karlsruher Gerichts hat Biller die Figuren, die in zahlreichen Details den beiden Klägerinnen nachempfunden sind, nur unzureichend verfremdet. «Es werden keine Typen dargestellt, sondern Porträts», heißt es in der kurzen Begründung des VI. Zivilsenats. Deshalb setze der Leser auch jenen Teil der Darstellung mit dem realen Leben der beiden Klägerinnen gleich, der vom Autor frei erfunden sei und die Frauen entweder überwiegend negativ zeichne oder sie - unter Verletzung ihrer Privatsphäre - bloßstelle. «Dies ist von der Kunstfreiheit nicht gedeckt.» Das OLG hatte das Verbot mit «markanten Übereinstimmungen» zwischen den türkischen Klägerinnen und den Romanfiguren begründet.

Das Buch schildert die Liebesbeziehung zwischen Esra und dem Ich- Erzähler, dem Schriftsteller Adam. Biller hatte mit der Klägerin, die für Esra als Vorbild diente, eine anderthalb Jahre währende Beziehung unterhalten. Der Anwalt des Verlags, Achim Krämer, hatte sich in der Verhandlung am Dienstag auf den Schutz der Kunstfreiheit berufen. Literatur knüpfe immer an die Realität an, die im Roman verfremdet und verdichtet werde. «Dieser Roman enthält an keiner Stelle Schilderungen irgendwelcher Abartigkeiten.» Es handele sich um die Verarbeitung einer Liebesgeschichte, wozu auch das Sexualleben gehöre.

Die BGH-Senatsvorsitzende Gerda Müller sprach in der Verhandlung von einer «schwierigen Gratwanderung». Die Frage nach der Fiktionalität führe die Juristen an die Grenze ihres Fachs. Nach ihren Worten ist entscheidend, ob die reale Person im Roman «künstlerische Selbstständigkeit» erlangt habe.

Der Verleger von Kiepenheuer & Witsch, Helge Malchow, hält das Urteil für «eine gefährliche Entwicklung». Er sehe eine Neigung der Gerichte, «in einer Güterabwägung zwischen Grundrechten die Kunstfreiheit einzuschränken», sagte Malchow dem «Kölner Stadt- Anzeiger» (Mittwoch-Ausgabe). Dies schränke nicht nur die ästhetische Arbeit der Autoren ein, sondern bedrohe auch die humane Gesellschaft. Schon jetzt bemerke er, dass die bereits erfolgten Urteile gegen das Buch von Maxim Biller «zu einer Verängstigung und deutlichen Verkrampfung» unter Autoren geführt habe: «Ich beobachte eine Art innerer Vorzensur beim Schreibprozess, die dem Kunstwerk nicht zugute kommen kann.» (tso)

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