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US-Bestseller über Fundamentalismus: Gott zum Wohlgefallen

Persönliche Chronik eines Aufbegehrens: Deborah Feldman erzählt vom Ausbrechen aus der jüdischen Orthodoxie.

Deborah Feldman wuchs auf in einer ultra-orthodoxen chassidischen Gemeinde im New Yorker Stadtteil Williamsburg. Die Satmar, zu denen sie gehörte, sind eine Gruppe von etwa 120 000 religiösen Eiferern, die mitten in dieser Stadt wie in einer Enklave leben – mit eigenen Ärzten, Krankenhäusern und Schulen. Die englische Sprache gilt ihnen als unrein, der Holocaust als Gottes Strafe für Assimilation und Zionismus, und den Staat Israel lehnen sie kategorisch ab. Die Satmar rufen sogar auf zu seiner Zerstörung. Eine Wiederholung der Schoah, sagen sie, könne nur verhindert werden durch radikale Befolgung der religiösen Regeln, strengste Sittsamkeit und gottgefälligen Gehorsam.

Ein Ausbruch aus dieser streng überwachten Gemeinschaft ist fast unmöglich. Die heute 29-jährige Deborah Feldman hat es gewagt – und geschafft. Als sie die Bedrängnis nicht mehr ertrug, fing sie an, einen anonymen Blog zu schreiben und stellte fest, dass sie mit ihren Fragen, ihrem Zweifel und ihrer Verzweiflung nicht allein war. Das hat ihr Mut gemacht. Mit 23 nahm sie ihren kleinen Sohn unter den Arm, floh aus Williamsburg und schrieb ein Buch über ihr beklemmend eingemauertes Leben. Seit Ende 2014 lebt sie in Berlin.

Ein Onkel fordert die Autorin zum Selbstmord auf

In den Vereinigten Staaten wurde die schonungslos ehrliche Chronik eines Aufbegehrens schnell zum Bestseller. Ein großer Erfolg für die Autorin, begleitet allerdings von Schmähungen und Drohungen aus ihrer ehemaligen Umgebung. Ein chassidischer Leitartikel verglich sie mit Joseph Goebbels, und ein Onkel rief sie an, um ihr zu sagen, dass ein Grab für sie bereit sei. Sie müsse sich nur noch umbringen, damit er darauf tanzen könne.

Seine Drohung war auch deshalb perfide, weil sich viele Flüchtlinge aus der Satmar-Gemeinde tatsächlich umgebracht haben. Sie waren dem ungeschützten Leben in der fremden Welt nicht gewachsen. Sie fanden keine Freunde und gelangten nicht zu Geld. Vor allem kannten sie die gesellschaftlichen Regeln nicht. Die Fahrt über die Brooklyn Bridge nach Manhattan war wie eine Fahrt in ein fremdes Land.

Der Erfolg des Buches lässt vermuten, dass viele, vor allem junge Frauen, die von fundamentalistischen Religionen gleich welcher Provenienz in ein Leben gezwungen werden, das sie nicht wollen, sich in Feldmans Aufbegehren erkannten. Denn es sind auch in Feldmans Gemeinde vor allem die Frauen, die sich unterwerfen müssen, nichts lernen dürfen und zwangsverheiratet werden. Es ist ihnen verboten zu singen, zu lesen, Sport zu treiben oder weltliche Musik zu hören. Heimlich ausgeliehene Bücher hat Feldman unter der Matratze versteckt.

Kahlrasiert sollen Frauen unscheinbar Gott und den Männern dienen

Hier genügt es nicht einmal, eine Perücke über das eigene Haar zu stülpen, wie es sonst üblich ist in orthodoxen Kreisen. Die Satmar-Frauen müssen ihren Kopf rasieren, damit auch nicht ein einziges seidiges Haar hervorlugen könnte. Unscheinbar sollen sie Gott und den Männern dienen.

Das war nichts für Deborah Feldman. Ja, sie wollte sich anpassen, sie wollte, dass die Großeltern, bei denen sie aufwuchs, stolz auf sie sein könnten. Sie liebte ihre Bubby, eine Überlebende des Holocaust, die dauernd backt und kocht und putzt und nie versucht, den eigenen Kopf gegen ihren Mann durchzusetzen.

Deborah ist anders. Aus dem kleinen neugierigen Mädchen wird eine wissbegierige junge Frau, die es einfach nicht schafft, eine brave Schülerin und später gefügige Ehefrau zu sein. Sie braucht Bücher, Wissen, Welt. Und all das ist verboten. Deborah Feldman hat sich dem neuen Leben langsam genähert. Hat sich heimlich an einem College eingeschrieben. Auf dem Weg dorthin im Auto den langen Rock ausgezogen und die ersten Jeans ihres Lebens getragen, hat sich die Haare wachsen lassen und dort, bei den anderen, für Stunden die Perücke abgenommen.

Sex wird zum demütigenden Desaster

Sie erzählt lakonisch und leidenschaftlich. Beschreibt mit hellem Humor und grimmiger Genauigkeit auch die intimsten Details ihres Lebens. Als die Heiratslehrerin ihr erklärt, dass es im weiblichen Körper einen Hohlweg gebe, der den Mann zur Quelle führe, widerspricht die junge Frau mit ernster Nachdrücklichkeit: Es tue ihr leid, aber so etwas habe sie nicht. Sie ist 17 Jahre alt, und ihr Leib ist ihr bis jetzt fremd geblieben. Kein Wunder in einer Welt, in der nicht einmal die Möbel sie nackt sehen durften. Sex wird zum demütigenden Desaster. Ihr Körper rebelliert so ungehalten wie ihr Geist.

Das Buch ist ein genauer Bericht, keine hämische Abrechnung. Feldman schreibt klar und klug, findet eine Sprache für Schauder, Witz und Courage. Eher spürt man ein zorniges Staunen über die Vergangenheit. Sie hadert nicht mit ihrem Judentum – nur mit dessen fundamentalistischer Entstellung.

Deborah Feldman: Unorthodox. Aus dem amerikanischen Englisch von Christian Ruzicska. Secession Verlag, Zürich 2016. 319 Seiten, 22 €.

Lesung & Konzert am 26. April 2016 um 20 Uhr im Palais der Kulturbrauerei

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