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Kultur: US-Friedensbewegung: Kein Krieg für Peaceniks

Das Timing war so perfekt wie makaber, als die Nachricht von den amerikanischen Luftangriffen am Sonntagnachmittag mitten in die bisher größte Friedensdemonstration in New York City platzte. Überrascht war eigentlich niemand unter den mehreren Tausend Kriegsgegnern auf dem Union Square.

Das Timing war so perfekt wie makaber, als die Nachricht von den amerikanischen Luftangriffen am Sonntagnachmittag mitten in die bisher größte Friedensdemonstration in New York City platzte. Überrascht war eigentlich niemand unter den mehreren Tausend Kriegsgegnern auf dem Union Square. "In diesem Land will man halt alles schnell haben," sagte ein resignierter Demonstrant, "einen komplizierten diplomatischen Prozess mag niemand abwarten." Die Stimmung war gespannt und besorgt. "Nun wird es viele weitere Tote geben, auch in den USA," meint eine 24-jährige Studentin.

Zum Thema Online Spezial: Kampf gegen Terror 7.10., 18.45 Uhr: Wie der Gegenschlag begann Hintergrund: US-Streitkräfte und Verbündete Schwerpunkt: US-Gegenschlag, Nato und Bündnisfall Schwerpunkt: Osama Bin Laden Chronologie: Terroranschläge in den USA und die Folgen Fotostrecke: Bilder des US-Gegenschlags Umfrage: Befürchten Sie eine Eskalation der Gewalt? Auf dem Union Square hatte sich schon in den ersten Tagen nach dem Anschlag eine riesige spontane Gedenkstätte mit Kerzenskulptur, Peace-Zeichen und hunderten von kleinen Schrifttafeln entwickelt, die vor etwa zwei Wochen von der Parkverwaltung geräumt worden war. Nun kamen die Kriegsgegner mit einer Demonstrationsgenehmigung zurück. Ausgehend von den Kerzenandachten der ersten Tage hat sich in den letzten Wochen in den ganzen USA langsam und stetig die amerikanische Friedensbewegung formiert. Die Pazifisten stehen zweifellos einer erdrückenden Übermacht in der kriegsgestimmten öffentlichen Meinung gegenüber, doch ihre Stimmen werden vernehmbarer. "Gerechtigkeit statt Krieg", "Unsere Trauer ist kein Ruf nach Krieg" und Gandhis "Aug um Aug macht die Menschheit blind" sind ihre Leitslogans.

Demonstrationen und Friedensmärsche haben in Städten und Universitäten von Oregon bis Florida stattgefunden. Zu den größten Kundgebungen in Washington am vorletzten Wochenende und in New York an diesem Sonntag kamen jeweils mehrere Tausend Menschen. Die Proteste richten sich gegen militärische Vergeltungsschläge und verlangen eine Lösung des Konflikts mit diplomatischen Mitteln, eingebunden in Institutionen wie den Internationalen Gerichtshof. "Gerade wir New Yorker, die wir den Schmerz unmittelbar erlebt haben, wollen zeigen, dass wir nicht weiteren Unschuldigen Ähnliches zufügen wollen," sagt Chris Ney von der "War Resistors League": "Militärische Vergeltungsschläge werden erstens viele Unschuldige treffen und zweitens mehr terroristische Gewalt provozieren." Auf einigen früheren Demonstrationen hatten auch Hinterbliebene von Opfern aus dem World Trade Center gesprochen. Auf den meisten Veranstaltungen wird auch gegen Rassismus und die Ausschreitungen gegen islamische Immigranten protestiert, vor überzogenen Eingriffen in bürgerliche Freiheiten gewarnt und der Ruf nach globaler ökonomischer Gerechtigkeit erhoben. Viele der Protestierenden sehen die Anschläge als Symptom überzogener amerikanischer Machtpolitik.

Doch im Vordergrund steht das unmittelbar drängende und die verschiedenen Gruppen vereinende pazifistische Motiv. Die Friedensdemonstrationen werden von einer breiten Koalition getragen. Religiöse Gruppen wie die Quaker-Organisation "American Friends Service Comitee" oder die katholische "Pax Christi", ältere säkulare Pazifisten wie die "War Resistors League" und jüngere linke Gruppen aus dem Umfeld der Globalisierungskritik, etwa das "Direct Action Network", haben vorläufig ihre Differenzen begraben. Man greift auf Organisations- und Kommunikationsnetzwerke aus den Zeiten des Vietnam- und des Golfkriegs zurück und baut neue Allianzen. Dementsprechend sieht man auf den Kundgebungen auch ein buntes Gemisch aus Altlinken, christlichen Familienausflügen und gepiercten Studenten. Der Ton bei den Demonstrationen, die im Augenblick auch gleichzeitig noch Trauerveranstaltungen sind, ist wenig kämpferisch, die favorisierten Ausdrucksmittel sind Kerze und Buntstift. Insbesondere die Anti-Globalisierungsgruppen haben radikalere Ziele und Aktionsformen zurückgestellt.

Die Forderung nach militärischer Zurückhaltung scheint im Moment die radikalste, die sich in den USA überhaupt erheben lässt. Und sie wird durchaus als radikal wahrgenommen. Das "American Friends Service Commitee" in Philadelphia hat mehrere Bombendrohungen erhalten, bei der "War Resistors League" in New York wurden Schilder von der Tür gerissen. Die einzige Abgeordnete im Kongress, die gegen George W. Bushs Kriegsbefugnisse stimmte, die kalifornische Demokratin Barbara Lee, steht unter Personenschutz. Die Öffentlichkeit ist den friedliebenden oder gar US-kritischen Stimmen im Moment nicht wohlgesonnen. Prominente Linke, die sich öffentlich gegen Militärschläge geäußert haben, werden entweder ignoriert oder verspottet, so etwa Susan Sontag oder Noam Chomsky. Eine Parallele zur Wickert-Affäre erlebte Amerika, als der Talk-Show-Host Bill Maher glaubte, betonen zu müssen, dass die Selbstmord-Piloten ja wohl nicht "feige" gewesen seien. So hatte Bush sie genannt, und Maher wurde prompt vom Sprecher des Weißen Hauses, Ari Fleischer, öffentlich abgestraft. So dürfe man im Augenblick nicht reden.

Unter den Kriegsgegnern weist man jedoch immer wieder darauf hin, dass die bekannten Umfragen zur überwältigenden Unterstützung der Amerikaner für den Militärschlag (92 Prozent) nicht die ganze Wahrheit sagen. Die "Village Voice" zitiert eine Umfrage, bei der die Frage als Alternative zwischen Krieg und der Auslieferung der Terroristen vor ein internationales Gericht gestellt wird. Dann zögen nur noch 54 Prozent der Amerikaner den Krieg vor. Und die "War Resistors League" verweist auf eine Erhebung, in der über 90 Prozent der Amerikaner eine starke Beteiligung der UN befürworten. Kaum jemand bestreitet jedoch ernsthaft, dass den Peaceniks im Moment der Wind ins Gesicht bläst. Es sind auch bisher noch keine wirklichen Massen zu den Demonstrationen gekommen. Die Friedensbewegung konnte auch ihre eigene traditionelle Klientel noch nicht voll mobilisieren, was offensichtlich an der Verwirrung und dem Schock über diesen beispiellosen Anschlag liegt. Außerdem hatte die US-Regierung bis zu diesem Sonntagnachmittag überraschend besonnen und aus der Sicht der Kriegsgegner sogar relativ vernünftig gehandelt.

Man konnte noch in der letzten Woche vorsichtige Anerkennung von Colin Powells multilateralen diplomatischen Bemühungen hören, und das aus Kreisen heißblütiger Anti-IWF-Aktivisten. Damit ist es seit Sonntag wohl aus. Ein entscheidender Grund für die zögerliche Mobilisierung ist wohl, dass auch den Protestierenden jede Sympathie für den erklärten Feind ihrer Regierung fehlt, anders etwa als zu Vietnam-Zeiten. Eine Bestrafung der Drahtzieher des Anschlags will auch unter den Demonstranten ein jeder. Weder Jihad noch Taliban haben im traditionell linken Milieu des Pazifismus viele Freunde. Viele amerikanische Linke kommen nicht zu den Demonstrationen, weil sie sich plötzlich auf der Seite ihrer Regierung wiederfinden und begrenzte militärische Mittel vielleicht sogar für angemessen halten.

Stellvertretend haben diese Debatte gerade Christopher Hitchens und Noam Chomsky in der linken Wochenzeitschrift "The Nation" geführt. Hitchens, prominenter und radikaler Kritiker amerikanischer Großmachtpolitik, unterstützt den Kampf gegen einen "Faschismus mit islamischem Gesicht". Jede Assoziation der Terroristen mit den unterdrückten Opfern kapitalistischer Globalisierung weist er zurück, während Chomsky den WTC-Anschlag zwar verurteilt, aber als Symptom amerikanischer Außenpolitik sieht und in den Kontext amerikanischer Untaten in anderen Ländern stellt. Doch jenseits aller Differenzen innerhalb der Linken gibt es für die Friedensbewegung einigende Ziele: keine Bombardierung der afghanischen Zivilbevölkerung, internationale Absprache der Anti-Terror-Maßnahmen, Unterstützung für demokratischere Elemente in Afghanistan, Vorbeugung gegen Terrorismus durch kooperative Politik in der Region. Klingt fast wie Bushs Programm für den "War on Terrorism". Die Entwicklung der amerikanischen Friedensbewegung hängt davon ab, wie dieser Krieg nun genau geführt wird.

Ralph Obermauer

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