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David Zwirner ist einer der wichtigsten Protagonisten des internationalen Kunsthandels. Vor 27 Jahren seine erste Galerie in New York.

© Jason Schmidt

US-Galerist David Zwirner im Interview: „In schlechten Zeiten wird Kunst existenzieller“

Der US-Galerist David Zwirner ist ein Star des Kunsthandels. Hier spricht er über das Kulturleben nach Trump und die Folgen von Corona für die Branche.

David Zwirner (56) ist einer der wichtigsten Protagonisten des internationalen Kunsthandels. Der Sohn des Kölner Galeristen und Kunstmarkt-Miterfinders Rudolf Zwirner gründete vor 27 Jahren seine Galerie in New York, wo er zuvor Schlagzeug studiert hatte und als Jazzmusiker Fuß zu fassen versuchte.

Die David Zwirner Gallery entwickelte sich schnell zu einer der wichtigsten Adressen für aktuelle Kunst. Auch gehörte Zwirner zu den Beratern für den Sammler Friedrich Christian Flick. Heute gibt es allein in New York drei Dependancen, dazu Filialen in Hongkong, London und Paris. Längst ist die Galerie auch ein Medienhaus, mit eigenem Verlag und digitalen Angeboten.

Herr Zwirner, was haben Sie gemacht, als Sie erfuhren, dass Joe Biden der nächste US-Präsident wird?
Beim Mitarbeiter-Meeting per Zoom am Morgen nach der Wahlnacht mit rund 200 Leuten auf der ganzen Welt war ich total deprimiert gewesen. Ich dachte, Trump gewinnt die Wahl. Es war dann wunderbar am Samstag danach, als ich in meiner Galerie in Chelsea saß und um 11.30 Uhr einen Schrei und ein Gehupe hörte, wie ich es sonst nur aus Europa kenne, wenn ein Land den Weltcup gewinnt.

Das habe ich hier noch nie erlebt, diese Euphorie einer ganzen Stadt. Es war fantastisch. Letzte Woche musste man sich dann wieder den Unsinn von Trump anhören. Die Medien müssen sich langsam an eine Zeit ohne ihn gewöhnen. Für sie war dieser Verrückte ein Verkaufsgarant.

Welchen Schaden hinterlässt Trump für das Kulturleben?
Die öffentliche Hand investiert kaum einen Penny. Es gibt zwar das National Endowment for the Arts als Fördereinrichtung auf Bundesebene. Aber wenn die Republikaner an der Macht bleiben, wird das Wenige weiter reduziert, wenn die Demokraten dran sind, gibt es mehr. Letztlich handelt es sich um einen Bruchteil des Berliner Kulturetats...

... in Höhe von 600 Millionen Euro. Das Jahresbudget des National Endowment beläuft sich auf 120 Millionen Dollar.
Fast alle Kultur in den USA wird privat finanziert. Insofern konnte nicht mehr viel kaputtgehen. Für die Kulturschaffenden war Trump eher ein Entertainer, kein Politiker, schon gar kein Führer einer Nation. Es war grausam, sich mit ihm auseinandersetzen zu müssen, seiner Primitivität, seinem Narzissmus. Jedes Mal, wenn man ihn gehört hat, fühlte man sich im falschen Film. Das ist jetzt vorbei.

Sie haben Joe Biden und Kamala Harris im Wahlkampf mit einer Verkaufsaktion unterstützt. War es ein Geschäft?
Ja, aber nicht für die Galerie. Die fünf Millionen Dollar gingen direkt in ihre Kampagne. Ich habe mich gefreut, als ich um Hilfe gebeten wurde. Auch für meine Mitarbeiter war es eher ein Privileg als Arbeit. Die angefragten Künstler erwiesen sich als sehr großzügig. Alle wollten helfen. Der Verkauf lief über eine Website, auf der Werke von über 100 Künstlern vorgestellt wurden. Wir waren nur Vermittler.

Sie selbst haben Kunst für mehr als eine Million Dollar gestiftet. Gab es inhaltliche Kriterien bei der Auswahl der Werke?
Nein, sie erfolgte nach dem Prinzip, welche Kunst kommerziell erfolgreich ist. Wir haben deshalb nur solche Künstler der Galerie angefragt, die im Markt stark sind wie Richard Serra, Jeff Koons, Carol Bove, Suzan Frecon. Laut Wahlrecht durften es nur US-Künstler sein und nur US-Kunden kaufen. Viele unserer europäischen Künstler haben sich geärgert, weil sie nicht mithelfen konnten. Luc Tuymans, Wolfgang Tilmans oder Marlene Dumas hätten sich sicher gerne beteiligt.

Wurde Ihnen die Aktion nicht kritisch ausgelegt? Schließlich sammeln auch Republikaner Kunst.
Die meisten Sammler meiner Galerie sind Demokraten. Auch Christie’s und Sotheby’s wurden angefragt, aber sie wollten ihre Käufer nicht vergrätzen. Mir war das egal; meine republikanischen Kunden wissen sowieso, wo ich stehe. Mit ihnen rede ich auch nicht über Politik, sondern nur über Kunst.

Was erwarten Sie nun von Biden?
Es gibt zwei Riesenprobleme in den USA. Zum einen die Kluft zwischen Reich und Arm, sie hat sich vergrößert. Zehn Prozent besitzen 80, 90 Prozent aller Güter. Die Reichen müssten mehr Steuern zahlen und die Ärmeren bei der Bildung stärker unterstützt werden. Jeder sollte auf die gleiche Schule gehen können wie ich damals in Köln.

Die Schulen werden größtenteils durch Immobilienerlöse finanziert, aus den Steuern, die beim Verkauf fällig werden. In einem armen Vorort von Detroit, wo die Häuser nichts kosten, sind die Schulen entsprechend schlecht finanziert, in einem Vorort von Palo Alto im Silicon Valley sind sie reich. Biden geht das hoffentlich an, denn wenn die Armen weiter keine Chancengleichheit haben, werden immer wieder radikale Politiker wie Trump gewählt.

Und das andere Thema?
Ist der Rassismus. Die USA haben sich nie zu ihrer Schuld an der Sklaverei bekannt. Das ist in diesem Jahr aufgebrochen. Für mich als Deutscher ist das interessant. Ich bin 1964 geboren, aber als ich nach Amerika zog und Juden kennenlernte, kam ich mir vor wie ein Täter.

Es war Teil meiner Erziehung, dass wir Deutschen für ein unglaubliches Unrecht verantwortlich sind. Dieses Selbstverständnis haben die Amerikaner nie entwickelt. Mit Trump wurde ein Rassist Präsident. Die Ursünde der Sklaverei reißt das Land auseinander. Auch Obama hat leider nicht viel bewegen können.

Gründen Sie deshalb eine Galerie-Filiale mit ausschließlich schwarzen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern?
Wir arbeiten mit vielen schwarzen Künstlern zusammen, auch im Team haben wir schwarze Kollegen, zum Beispiel in der Buchhaltung und im Marketing. Aber nicht im Kunstverkauf und der Künstlerbetreuung. Gerade versuchen viele US-Unternehmen, ihre Belegschaft so umzustrukturieren, dass sich in ihr die jeweilige Stadt widerspiegelt: New York ist wunderbar durchmischt.

Ich stieß auf die Kuratorin Ebony L. Haynes, die mir einen Gegenvorschlag machte: eine Dependance zu eröffnen, in der zwar auch nichtschwarze Kunst gezeigt wird, aber nur schwarze Kollegen arbeiten, damit es Ausbildungsplätze nur für sie gibt. Unsere Branche hinkt da hinterher. Schaut man Kataloge von Christie’s und Sotheby’s mit den Fotos ihrer Teams an, ist das nicht repräsentativ. Wenn Ebony nun junge Galeristen ausgebildet, profitieren alle davon. Andere Galerien können ihr hin und wieder jemanden wegschnappen.

Wie hat die Szene darauf reagiert?
Die weiße Kunstwelt leidet momentan unter schlechtem Gewissen, weil sie es in den letzten 20 Jahren nicht geschafft hat, Chancengleichheit herzustellen. Die schwarze Bevölkerung macht etwa 13 Prozent aus, in den meisten Galerien gibt es gar keine schwarzen Mitarbeiter, ähnlich ist es in den Museen. Die weiße Kunstwelt hält unsere Initiative für ein interessantes Projekt, die schwarze ist ein bisschen skeptisch und wartet eher ab.

Aufblasbar. Jeff Koons lieferte seine „Flag“ zur Verkaufsaktion bei Zwirner ein, um den Biden-Harris-Wahlkampf zu unterstützen.
Aufblasbar. Jeff Koons lieferte seine „Flag“ zur Verkaufsaktion bei Zwirner ein, um den Biden-Harris-Wahlkampf zu unterstützen.

© Jeff Koons. Courtesy the artist and David Zwirner

Corona hat die Kultur in den USA fast zum Erliegen gebracht. Die ersten Museen verkaufen nun Kunst. Was halten Sie davon?
Die US-Museen werden fast alle privat geführt, ihre Statuten erlauben das. Sie dürfen Werke abstoßen, um neue Kunst zu erwerben. Nach den ersten Schließungen wurden neue Richtlinien entwickelt, wonach Kunst auch für die „unmittelbare Erhaltung der Sammlungen“ verkauft werden darf. Aber als das Baltimore Museum ein Werk von Brice Marden, einem lebenden Künstler, auf den Markt bringen wollte, gab es doch Ärger. Der Verkauf wurde zurückgezogen.

Welche Folgen hatte Corona für Ihr Unternehmen?
Das Jahr begann brutal. Unsere Galerien auf allen drei Kontinenten wurden geschlossen, Messen abgesagt, es gab keine Eröffnungen, keine Einladungen mehr. Ich musste die Mitarbeiter entlassen, die sich um Vernissagen, Messen, Dinner oder Lesungen kümmern. Es ging nicht anders, sie hatten nichts mehr zu tun. Ein wahnsinnig schwieriges Jahr…

Aber nicht für die großen Galerien.
Die Kunden haben trotzdem Kunst gekauft. In den letzten drei Monaten lief das Geschäft fast normal. Wir haben mehrere Ausstellungen ausverkauft: Luc Tuymans in Hongkong, Oscar Murillo in Paris.

Für ernsthafte Sammler bietet ein schwieriger Markt Chancen. Es werden Werke angeboten, auf die sie sonst lange warten müssen. Die Investoren, sprich: die Spekulanten, sind derzeit weg. Mit denen arbeiten wir ohnehin nicht. Mich hat trotzdem überrascht, wie stark das Interesse gerade der asiatischen Sammler war. China, Indonesien, Taiwan, Singapur, die ganze Region, war besonders aktiv.

Hat es Ihnen geholfen, dass Sie auf dem Sektor Digitalisierung schon länger aktiv sind als andere Galerien?
Absolut. Wir bieten seit 2017 digital Kunst an. Damals bin ich ausgelacht worden. Selbst in meinem Team waren viele skeptisch. Aber mir war klar, dass man mit einer global arbeitenden Galerie Ausstellungen nicht nur lokal präsentieren darf. Als der Lockdown kam, konnten wir schneller reagieren. Wer sich bei uns nicht mehr um Ausstellungen zu kümmern brauchte, weil es sie nicht mehr gab, hat mitgeholfen. Was wir in diesen neun Monaten an Innovation durchsetzen konnten, braucht normalerweise fünf Jahre.

Treiben Sie das Digitale nun noch weiter voran? Geht dabei nicht etwas verloren?
Zunächst gab es keine Alternative, das war eine Notsituation. Künstler wollen aber unbedingt im nicht-digitalen Bereich agieren, auf Ausstellungen in der realen Welt. Nur ist das Publikum internationaler geworden. Wenn ich eine Ausstellung in New York habe, soll sie auch von meinen Kundinnen und Kunden in Paris oder São Paulo wahrgenommen werden.

Das Digitale nimmt nichts weg, es unterstützt. In einer Ausstellung schaut man sich die Werke an und erfährt den Namen des Künstlers. Im Netz aber sind die Künstler selbst zu hören, ein Kurator führt. Das ermöglicht eine breitere Wahrnehmung.

Übrigens, Glückwunsch, das Magazin „Monopol“ hat Sie gerade in seiner Liste der 100 wichtigsten Akteure der Kunstwelt auf Platz 3 gesetzt – auch weil Sie sich in diesem Jahr für kleinere Galerien eingesetzt haben.
Darüber brauchten wir gar nicht lange nachzudenken. Als wir merkten, dass wir unsere Sammler weiterhin über das Netz erreichen, haben wir im Frühjahr unsere Webseite kostenfrei für 50 junge Kollegen geöffnet. Das war relativ einfach, wir hatten sowieso nicht viel zu tun. Das Projekt „Platform“ war auch wichtig für die Moral, denn im April waren wir alle deprimiert. Wir wussten nicht, wie es weitergeht. Es hat uns alle zusammengeführt.

Rechnen Sie wegen Corona trotzdem mit einem Galeriensterben?
Galerien, die schwach ins Problemjahr 2020 gegangen sind mit Schulden oder einer Künstlerliste, die kein Publikum bindet, werden es wohl nicht schaffen. Das wäre dann eine Marktbereinigung wie alle Jahre. Aber Galerien mit gutem Programm und Sammlern, die kriegen das hin – wenn die Vermieter mitspielen. Hier in New York müssen gerade viele jüngere Galerien nur 60 Prozent ihrer Miete zahlen. Das gesparte Geld hilft ihnen, 2021 wieder durchzustarten.

Welche Auswirkungen könnte die Krise für die Kunst haben?

Es ist vielleicht lustig, wenn ausgerechnet ich das sage, weil ich mitschuldig daran bin – der Handel war in den letzten Jahren stark, den großen Galerien ging es gut, die Kunst orientierte sich am Markt. Dadurch wurden zunehmend Werke produziert, die geschmäcklerisch sind. In schlechten Zeiten aber wird die Kunst existenzieller, das ist schon jetzt zu merken. Auf einmal findet in den Ateliers etwas Neues statt.

Carol Bove, die sonst als Bildhauerin mit viel Farbe arbeitet, kam jetzt mit einer ganz schwarzen Skulptur. Oder Josh Smith, er lief während des Lockdowns durch die Stadt und malte die Menschenleere. Es ist tolle Kunst entstanden. Wann immer ich mit Künstlern sprach, waren sie fleißig. Für viele hat sich nur wenig verändert. Sie empfanden es auch als gut, dass sie nicht zu Ausstellungseröffnungen reisen mussten und weniger abgelenkt waren. Sie konnten einfach arbeiten.

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