zum Hauptinhalt
Unwürdige Massenhaltung. Zwei Kaninchenbabys in einem Stall in Niedersachsen.

© Holger Hollemann/dpa

US-Philosophin plädiert für neue Ethik: Ist das Glück von Tieren dem Menschen gleichgestellt?

Harvard-Professorin Christine M. Korsgaard meint, jedes Tier sei ein "Zweck an sich selbst" - und damit schützenswert. Die Zeitschriftenkolumne.

Von Gregor Dotzauer

Die fünf Damen, denen ihr jüngstes Buch gewidmet ist, sind als Leserinnen denkbar ungeeignet. Denn Alexandria, Pepper, Lucy, Diotima und Cleo sind Christine M. Korsgaards Katzen. Ein privilegierter Teil jener nichtmenschlichen „Fellow Creatures“ (Oxford University Press), deren Gleichstellung sie gegen die erniedrigenden Übergriffe des Menschen verteidigt. In den USA, wo Korsgaard seit 1991 Philosophie an der Harvard University lehrt, ist ihr Einspruch gegen das Überlegenheitsgefühl des vernunftbegabten Tiers bisher kaum über die akademische Welt hinausgedrungen. Noch weniger Resonanz hat Korsgaard hierzulande erfahren. Immerhin stellt Deutschlands führende Tierethikerin Ursula Wolf in einem Kapitel ihrer „Ethik der Tier-Mensch-Beziehung“ (Klostermann 2012) Korsgaards Position in aller Kürze dar.

Der Mangel an Aufmerksamkeit ergibt sich nicht nur daraus, dass keines ihrer Bücher auf Deutsch vorliegt. Die Debatte über die Notwendigkeit eines vegetarischen oder veganen Lebens konzentriert sich viel zu sehr auf die Schrecken der industriellen Tierhaltung und die von ihnen ausgelösten moralischen Evidenzerlebnisse. Im Rahmen einer Mitleidsethik auf Schopenhauers Spuren, aus der auch Ursula Wolf wichtige Argumente bezieht, sind sie nicht falsch. Korsgaards „Fellow Creatures“ aber ändern die Perspektive. In der glasklaren Sprache, in der sie „Our Obligations to the Other Animals“, so der Untertitel, vorträgt, gelingt ihr der Brückenschlag zwischen den Ansprüchen der eigenen Zunft und denen eines neugierigen Publikums.

Entstanden aus drei 2014 im britischen Oxford gehaltenen Uehiro Lectures, deren Audiomitschnitte sich auf Youtube finden, entwickelt Korsgaard ihre Einwände gegen das Schlachten und den Verzehr von Tieren auf der Basis von Immanuel Kants Moralphilosophie. Sie bietet damit insbesondere eine Alternative zu dem das Leid des einzelnen Geschöpfs völlig übergehenden Utilitarismus des australischen Philosophen Peter Singer. Er brachte 1975 mit „Animal Liberation“ (Die Befreiung der Tiere) die zeitgenössische Debatte um Tierrechte entscheidend mit auf den Weg.

Thomas Nagel, selbst ein Philosoph von Weltrang, hat nun in der „New York Review of Books“ (2019/5) Korsgaards Buch jenen Ritterschlag gegeben, auf den sie so lange vergeblich warten musste. In seinem Essay „What We Owe a Rabbit“ fasst er ihre Argumentation zusammen und traut ihr zu, „einen der größten moralischen Umschwünge in der Geschichte der Menschheit“ zu bewirken.

Korsgaard weitet Kants in der „Metaphysik der Sitten“ erhobenen und auf den kategorischen Imperativ hinauslaufenden Anspruch, dem zufolge „der Mensch und überhaupt jedes vernünftige Wesen als Zweck an sich selbst existiert, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen“ auf das vernunftabstinente Tier aus. Dieser „Zweck an sich selbst“ ist seit Jahren ihr Hebel. Für sie ist es blanker Hochmut, mit John Stuart Mill anzunehmen, man sei als kunstsinniger, aber unzufriedener Sokrates besser dran denn als zufrieden im Stroh herumwühlendes Schwein.

Das Besondere am Menschen ist die Empathie

Selbst wenn einem Kaninchen sein Leben unwichtiger erscheinen sollte als einem Menschen, umfasst es für das Tier „nichtsdestoweniger alles an Wert, alles, das für es jemals gut oder schlecht sein kann, außer möglicherweise das Leben des Nachwuchses“. Im Rahmen ihrer kantischen Auffassung ist für Korsgaard demnach „das Besondere am Menschen nicht, dass wir die Lieblinge des Universums wären und unser Schicksal absolut betrachtet wichtiger als das Schicksal anderer Geschöpfe wäre, die wie wir ihr ureigenes Dasein erfahren“.

Korsgaard plädiert für das Gegenteil: „Das Besondere an uns ist die Empathie, die uns in die Lage versetzt, zu erfassen, dass andere Geschöpfe in genau jener Art und Weise wichtig für sich selbst sind, wie wir wichtig für uns sind, und der Grund, der uns in die Lage versetzt, den folgenden Schluss zu ziehen: dass jedes Tier als Zweck an sich selbst betrachtet werden muss, auf dessen Schicksal es ankommt, und zwar in einem absoluten Sinne ankommt, wenn es überhaupt auf etwas ankommt.“

Zur Startseite