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Kultur: US-Wahlkrimi: Der zweite Mann

Im Falle eines Wahlsiegs, so witzelt man derzeit trotz aller Nervosität bei den Republikanern auf dem Kapitol, gelte vor allem eine Devise: Für die Gesundheit des herzkranken Vizepräsidenten Dick Cheney sorgen. "Denn wenn ihm etwas zustößt, müsste die Nummer eins im Weißen Haus die Amtsgeschäfte übernehmen.

Im Falle eines Wahlsiegs, so witzelt man derzeit trotz aller Nervosität bei den Republikanern auf dem Kapitol, gelte vor allem eine Devise: Für die Gesundheit des herzkranken Vizepräsidenten Dick Cheney sorgen. "Denn wenn ihm etwas zustößt, müsste die Nummer eins im Weißen Haus die Amtsgeschäfte übernehmen." Dieses Bonmot sagt mehr über den künftigen Regierungsstil eines potenziellen Präsidenten George W. Bush, als dem Texaner lieb sein kann: Denn geben das Oberste Verfassungsgericht der USA oder - im Fall eines Nachzählens - die Wähler grünes Licht und zieht der Gouverneur tatsächlich am 20. Januar in das "Oval Office" ein, wird er seine Entscheidungen vor allem nach einem kleinen Zirkel ausgewählter Personen richten, der bereits seinem Vater während dessen Präsidentschaft zu Diensten war. Im Mittelpunkt: Der bereits von vier Herzinfarkten heimgesuchte Dick Cheney, unter Ex-Präsident Gerald Ford Stabschef, unter Ex-Präsident George Bush Verteidigungsminister und nun ein Amt anvisierend, das wie nie zuvor in der amerikanischen Geschichte mit Machtpotenzial ausgestattet sein wird.

Das liegt nicht nur daran, dass sich George W. Bush als Gouverneur von Texas den Ruf erworben hat, langwieriges Akten- und Faktenstudium zu scheuen und so viel wie möglich an seine engsten Mitarbeiter zu delegieren. Cheney würde - wie bei einem Erfolg Gores dann auch dessen Vizepräsidentschafts-Kandidat Joseph Lieberman - vor allem davon profitieren, dass es im Senat mit dem 50:50-Patt zwischen Republikanern und Demokraten eine Blockadesituation gibt, die nur der zweite Mann im Weißen Haus mit seinem für diesen Fall vorgesehenen "Tiebreak"-Votum aufbrechen kann.

Dem Vizepräsidenten wird somit nicht - wie bei früheren Präsidenten - die undankbare Rolle eines reinen Zeremonienmeisters zukommen, sondern er wird sich mit seiner Stimme als aktiver politischer Gestalter in allen wichtigen Fragen, von der Steuerpolitik bis hin zum Verteidigungsetat, profilieren können. Selbst George W. Bushs Wortwahl verriet in der letzten Woche unfreiwillig viel über die ungewöhnliche Machtrolle des künftigen amerikanischen "Vize": "Wenn irgendwann dieses Drama beendet ist," formulierte Bush gegenüber Reportern, "werden Dick Cheney und ich Präsident und Vize-Präsident sein."

Nur kein Schatten sein

Bush selbst wehrt sich öffentlich gegen Vermutungen, er werde bei einem Erfolg im Wahl-Drama nur das Dasein eines "Schatten-Präsidenten" führen und weitgehend von der alten Brigade des Herrn Papa abhängig sein, zu der auch sein potenzieller Stabschef Andrew Card und der für das Amt des Verteidigungsministers vorgesehene General Colin Powell zählen: "Das ist doch wohl ein Scherz", pflegt er auf solche Frage von Journalisten zu antworten und dies als "Spielerei der Medien" abzutun.

Doch auch während der sich überschlagenden Ereignisse in Florida in den letzten Wochen zeigte sich, wer eigentlich am Ruder des Bush-Teams steht. Während sich der Gouverneur von Texas auf seiner Ranch weitgehend unsichtbar machte und fast schon den Eindruck erweckte, als bereite ihm die Aussicht auf das wichtigste Amt des Landes Magenschmerzen, stand Dick Cheney trotz seiner gerade überstandenen vierten Herzattacke unverdrossen an der Public-Relations-Front. Er versuchte Al Gore im Kampf um die öffentliche Meinung Paroli zu bieten und ging auch mit Volldampf die vorsorglichen Planungen für die Übernahme der Regierungsgeschäfte an. Und außenpolitisch ist Cheney ohnehin von ganz anderem Kaliber als Bush, der noch immer unter dem Trauma zu leiden scheint, bei einer Reporterfrage von vier ausländischen Staatschefs nur einen benennen zu können.

Bisher ist es Bush allerdings nicht gelungen, den Eindruck zu verwischen, als stützen sich seine Personal-Überlegung lediglich auf des Vaters Truppen. So wird mit Frank Keating ein weiterer enger Mitarbeiter von Bush senior als Justizminister favorisiert. James Baker, früherer US-Außenminister und einer der Strippenzieher während der Entscheidungs-Wochen in Florida, würde wohl eine beratende Rolle in Sachen Weltpolitik spielen. Und auch die Sicherheitsberaterin in spe, die Farbige Condoleeza Rice, bringt umfangreiche Erfahrungen aus der Ära von George Bush mit: Unter dem Familien-Patriarchen diente sie bereits als einflussreiches Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates.

Und was würde Bush junior eigentlich im Weißen Haus tun, lästern vor allem Demokraten angesichts dieser Konstellation? Er wird sich als "Uniter", also als "Vereiniger" profilieren müssen, vermutet man im feindlichen Lager. Und sei es nur, um zu verhindern, dass sich die Freunde des Vaters im Streben nach Einfluss und Macht gegenseitig an die Kehle gehen.

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