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Erzählen und kein Ende. Uwe Timm. Foto: dpa

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Uwe Timm: Der Stoff, aus dem die Bücher sind

Lange galt er als typischer 68er-Schriftsteller. Doch ihm geht es um das Erzählen. Uwe Timm zum 70. Geburtstag.

Erzählen sei für ihn, daraus hat Uwe Timm Anfang der neunziger Jahre in seinen Paderborner Poetikvorlesungen keinen Hehl gemacht, „allein für mich wichtig, den Erzähler. (...) Für mein Erzählen, mein Schreiben, gibt es viele Triebkräfte, edle und weniger edle: um wahrgenommen zu werden, weil mir etwas den Atem verschlägt, aus Angst, aber auch aus Wut, weil ich mir über gesellschaftliche Probleme Klarheit verschaffen will, aus der Lust heraus, spielerisch die Wirklichkeit umzubauen, damit etwas Neues, so noch nicht Dagewesenes entsteht“.

Dieses Diktum gilt für Uwe Timm bis heute – wenngleich er mit seinen Büchern unterschiedlichste Schreibphasen durchlaufen hat, sich seine Einstellungen zu und seine Erwartungen an die Literatur stets verändert haben. Lange galt er als typischer 68er-Schriftsteller, der sich 1974 in seinem Debütroman „Heißer Sommer“ nachhaltig mit der Studentenbewegung auseinandersetzte (und das viele Jahre später mit dem Roman „Rot“ ein weiteres Mal tat, dieses Mal aber aus viel abgeklärterer Perspektive).

Damals glaubte Timm daran, dass die Literatur die Gesellschaft verändern könne und auch müsse, „zu mehr Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit“. Doch zunehmend verstand Timm sich „als Freibeuter jeglicher ideologischer Konstrukte“ und akzeptierte eigene Eitelkeiten genauso wie die Tatsache, dass er als Schriftsteller gar nicht anders könne, als zu schreiben. Und mehr: „Es ist denn auch in den meisten Fällen so, dass man seine Themen nicht aussuchen kann, (...), sondern die Themen wählen sich den Autor und den Schriftsteller.“

Fortan galt für den 1940 in Hamburg als Sohn eines Tierpräparators geborenen Timm: Erzählen und kein Ende – ob in den Kinderbüchern, die er jeweils zu der Geburt seiner vier Kinder schrieb und von denen „Rennschwein Rudi Rüssel“ zu seinem kommerziell erfolgreichsten Buch werden sollte. Ob in der unterhaltsamen, geschichtsträchtigen Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“. Oder in den Romanen „Johannisnacht“, „Rot“ und zuletzt „Halbschatten“, in denen er die deutsche Geschichte mit Berlin als Klammer an den entscheidende Umbrüche markierenden Jahreszahlen 1933/45, 1968 und 1989 entlang erzählt.

Wie sehr die Themen aber wirklich ihren Autor suchen, wie sie Timm persönlich verfolgen, bewiesen besonders die Bücher „Am Beispiel meines Bruders“ und „Der Freund und der Fremde“. Beides sind autobiografische Erzählungen, aber auch Chroniken und Interpretationen von deutscher Geschichte. In dem einen erzählt Timm, eingebettet in die Familiengeschichte, vom Schicksal seines im Krieg gefallenen Bruders, den er nur als Kind kennengelernt hat und dessen Briefe aus dem Krieg er auswertet. Das andere handelt von der Freundschaft zu Benno Ohnesorg und Timms Jahren am Kolleg in Braunschweig 1961-63, nachdem er das Kürschner-Handwerk gelernt hatte. Nach Lektüre dieser autobiografischen Bücher erkennt man rückblickend, was für eine große Rolle der eigene Lebensstoff im gesamten Werk von Timm spielt. Immer hat er sich jedoch daran gehalten, diesen Stoff mit dem Blick eines Fremden zu betrachten und zu Geschichten, zu überaus lesbaren Romanen, mithin: zu wahrer Dichtung, umzuarbeiten. Heute feiert Uwe Timm in München seinen 70. Geburtstag. Gerrit Bartels

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