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Kultur: "Väter Söhne Geister": Lehrsätze und Leersätze

Unter jungen deutschen Prosa-Autoren gibt es zwei Tendenzen: Man zieht nach Berlin. Und man drängt zur Bühne.

Unter jungen deutschen Prosa-Autoren gibt es zwei Tendenzen: Man zieht nach Berlin. Und man drängt zur Bühne. Der Drang in die Hauptstadt versteht sich von selbst, der aufs Theater erklärt sich aus dem derzeitigen Boom an Gegenwartsdramatik: Auch der subventionierte Theaterbetrieb ist ein Markt, auf dem hektische Nachfrage ein entsprechendes Angebot erzeugt. Welche Seite der ökonomischen Regel im Falle von Marcus Braun und dem Theater Bielefeld den Ausschlag gab, ein Stück des 1971 geborenen Wahlberliners uraufzuführen, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass Braun sein "Väter Söhne Geister" seit Jahren in der Schublade hatte und dass die Bielefelder Stadttheaterleute immer verlegen um Stoff für ihre Reihe "Autorenbühne. Neue Szene" sind.

Der zuständige Dramaturg Jan Hein scheut bei seiner Pirsch auf unentdeckte Autoren nicht einmal die Genregrenze, hat schon Prosa von Birgit Vanderbeke und Judith Hermann auf die Bühne gebracht und so Erzählerinnen in Dramatikerinnen verwandelt. Auch Marcus Braun ist bisher nur durch Romane und Erzählungen aufgefallen, darunter "Delhi" und "Nadiana" - Texte, deren Assoziationsstrudel und Anspielungskaskaden die Kritik entweder für genial oder entsetzlich befand.

"Väter Söhne Geister" aber ist als Stück deklariert; zu erkennen ist dies freilich nicht. Zu hören sind die Stimmen dreier, wohl junger Menschen, die immerhin Namen tragen, Laura, Magda, Paul. Figuren bilden sich nicht heraus, was im Zeitalter des Postdramatischen ja auch nicht zwingend ist. Zwingend aber wäre dann, dass die Sätze, die ja nicht vom Himmel, sondern aus den Mündern lebender Schauspieler fallen, diese zu so etwas wie, sagen wir, Figurationen von Konflikten machte. Denn Theater bedeutet, wie auch immer, Konflikt. Daran aber fehlt es hier entschieden - lässt man einmal den Kampf, den die Regisseurin Friederike Felbeck mit dem Text ausfocht und verlor, außer Acht. Stimmen also, die sich mit Kalendersprüchen ("Der Mensch lernt nie aus"), Lehrsätzen ("Die Familie ist die Keimzelle des Staates") und Leersätzen ("Auf die Grammatik ist Verlass") abwechseln, sich gegenseitig aus tausend Zusammenhängen Gerissenes zurufen, als führten sie einen Dialog, als ginge es darum, irgend einer Lage Herr zu werden. Doch eine Lage gibt es nicht. Die Bedeutungsschnipsel dementieren sich gegenseitig, ihre Collage schafft keinen neuen Zusammenhang, höchstens eine Stimmung der Bedrängnis durch irgend etwas. Liest man den Text, aber kein Theaterzuschauer muss dies tun, so sieht man, es gibt einen "Chor der Väter" und einen "Chor der Söhne", deren diffuse Selbstgerechtigkeits- bzw. Bezichtigungs-Gebete in Bielefelds "Theater am Alten Markt" in einem Plexiglaskasten vorgebracht werden - teils von einem über und über khakifarbenen Schauspieler, der wie ein "ups"-Bote aussieht. Doch die Lieferung, die er überbringt, ist ohne Wert und Gewicht, ein äußerst ungefähres Päckchen Generationenkonflikt, das der Autor wohl im Sinne hatte, aber gar nicht packte. Jedenfalls nicht bühnengerecht; Brauns wilder Assoziationsstrom, der in seinen Büchern gelegentlich einen faszinierenden Sog erzeugt, weil er blitzschnell zwischen Innen und Außen wechselt und die divergentesten Orte koppelt, ist untauglich fürs Theater. Das macht die Verzweiflung, mit der die Regie nach Situationen sucht, aus denen sich ein Spiel entwickeln ließe, fast verständlich. Angestrengt schickt Felbeck ihre vier Akteure hin und wider, lässt sie posieren, grimassieren, und wenn schon der rechte Sinn des Ganzen fehlt, sollen bedeutungsschwere Dinge ihn ersetzen: Beinprothesen und Konzertflügelbeine werden umher getragen, so manches schwache Wort wird mittels Fliesenscherbenkratzen übertönt. Was ein wenig mit der Musik korrespondiert, die der Tubist Klaus Burger nach einer Konzeption des Komponisten Gerhard Stäbler von hinten beisteuert. Von dort brummt und fiept es auf diversem Blech, vorn aber sucht man vergeblich nach dem Free Jazz der Worte. Laura, an ein Tau gefesselt; Paul, mit Rasierschaum eingeweißt; ein Beuys-haft hochgereckter Hase - nichts hilft, auch nicht das gemeinsame Aufblasen einer Luftmatratze. Die Rettung hätte vorher kommen müssen, durch Verzicht. Nicht jeder Text muss auf die Bühne.

Ulrich Deuter

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