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Kultur: Väter und Söhne

Das Geheimnis seines Erfolgs war seine Ungeduld: Erinnerungen an Horst Wendlandt/Von Volker Schlöndorff

Persönlichkeit und Biografie – wie bedingen sie einander? Eine Frage, die ich mir beim Tod meines Freundes Horst Wendlandt stelle. Geboren als illegaler Sohn eines russischen Landarbeiters, gestorben als erfolgreichster deutscher Filmproduzent aller Zeiten – in die Wiege gelegt wird ein solcher Anfang, ein solches Ziel niemandem .

Wie oft hat Horst Wendlandt Aufstieg und Untergang des deutschen Films erlebt? 1938 begann er eine kaufmännische Lehre bei der Tobis und konnte bis 1944 weiterarbeiten, weil er keinen deutschen Pass hatte. Dann wurde er doch noch zu dem letzten Aufgebot verpflichtet – und geriet für zwei Jahre als Kriegsgefangener in ein französisches Kohlekraftwerk, wo er untertags arbeiten musste.

Den Neubeginn des deutschen Films erlebt er als Buchhalter, dann als Film-Geschäftsführer bei Arthur Brauners CCC Film und bei Rialto Film. Diesmal lernt er das Handwerk des Produzierens, lernt auch die zurückkehrenden Emigranten kennen: Wilhelm Dieterle, Max Reinhard, Douglas Sirk alias Detlef Sierck und Fritz Lang. Schließlich macht er sich Ende der fünfziger Jahre selbständig, übernimmt Rialto Film und beweist sein Gespür, seine Nase, seine glückliche Hand, wie immer man es nennen wil, zunächst mit den Edgar-Wallace-Filmen, dann mit KarL May.

37 Goldene Leinwände aus dieser Zeit, verliehen Filme mit mehr als drei Millionen Besuchern, schmücken heute noch das Büro seiner Produktionsfirma Rialto Film in der Berliner Bismarckstraße. Muss er zuerst noch mit den Wechseln der Verleiher jonglieren, damit sie nicht „platzen“, hat er bald genügend Eigenkapital, um allein zu entscheiden.

Es ist der wirtschaftliche Höhepunkt des deutschen Films: Noch gibt es kein Fernsehen, keine Förderung. Jeder Film ist ein Wagnis, Haus und Hof sind der Einsatz. Das schärft das Gespür. Leidenschaft fürs Kino allein diktiert die Entscheidung. Fast immer gewinnt Wendlandt, wer zögert, verliert. Der Einsatz lohnt sich. Schließlich hatte das deutsche Kino damals 600 Millionen Besucher pro Jahr. Doch dann kommt der Einbruch. Aus Kinos werden Supermärkte, jährlich bleiben 120 Millionen Besucher. Erschwerend kommt hinzu ,dass eine neue Generation den Tod von Papas Kino behauptet. Der deutsche Film geht unter.

Wer war schuld? Die Unfähigkeit von uns jungen Filmemachern oder die Langeweile von Papas Kino? Oder schlicht und einfach das neue Medium Fernsehen? Darüber haben Horst Wendlandt und ich bis letzte Woche fast täglich gestritten. Seit Mitte der sechziger Jahre kennen wir uns, erst seit zehn Jahren sind wir wirklich befreundet.

Leidenschaft & Können

Schon damals war er bereit zum Schulterschluss mit der nächsten Generation. Wir aber hatten Angst vor dieser Umarmung des Vaters. Wir mussten uns von ihm befreien. 1966 bot er mir zum ersten Mal einen Film an, den Fall Vera Brühne, damals hochaktuell. Erst 30 Jahre später sind wir zusammengekommen. So viel verlorene Zeit, sage ich mir heute.

In den Jahren dazwischen hat er mit Ingmar Bergman und Rainer Werner Fassbinder gearbeitet. Wie ging das? Nicht anders als bei Edgar Wallace oder Karl May. Er hörte sich ihre Geschichten an. Wenn das Projekt ihn überzeugte, finanzierte er großzügig, ohne sich je in Buch, Regie oder Schnitt einzumischen. Er schaute sich die Ergebnisse an, redete mit, stellte Fragen, erteilte Ratschläge. Aber er griff niemals direkt ein. So hatte er schon mit Harald Reinl, Wolfgang Staudte, Jürgen Roland, und Fred Vohrer gearbeitet. Der Produzent entscheidet über Projekt und Finanzierung, er kümmert sich um Verleih und Verkauf, der Regisseur macht den Film – egal ob es „Der Hexer“, „Lola“ oder „Das Schlangenei“ ist. Kunstfilm, Schnulze, Avantgarde, Nouvelle Vague, Opas Kino oder Junger Deutscher Film – alles uninteressante ideologische Fragen. Für Wendlandt zählte nur Leidenschaft und Können.

Als Verleiher von Chaplin, als Koproduzent von Sergio Leone, Bud Spencer, Louis de Funes oder als Kinoentdecker von Otto und Loriot bewies er immer wieder Liebe und Begeisterung für Talente, die er bewunderte. Immer war er zuerst selbst Zuschauer. Deshalb pflastern auch nicht Leichen seinen Weg, sondern Freunde säumen seine Lebensstationen. Ihnen allen wird er fehlen, wie ihm die gefehlt haben, die vor ihm gegangen sind – in die ewigen Jagdgründe eines immer jugendlichen Freundeskreises.

Vitalität & Hartnäckigkeit

Freude am Leben, Freude am Machen, Freude am Geldverdienen, Freude beim Ausgeben, beim Anlegen wie beim Sammeln von Kunst. Vitalität war seine hervorstechendste Eigenschaft – bis ins hohe Alter und bis über seine Krankheit hinaus. Vergleichbar ist seine Persönlichkeit, seine Biografie eigentlich nur mit den großen Mogulen, den Pionieren des amerikanischen Kinos, der Generation von Goldwyn, Warner, Fox und Meiers.

Ich habe mich oft gefragt, worin das Geheimnis seines Erfolges besteht. Es ist seine Ungeduld. Interessierte ihn eine Geschichte nach ein paar Sätzen nicht mehr, brach er einfach ab und ging über zum nächsten Thema. Das sparte ihm viel Zeit und Kraft. Zögern und Zaudern war nicht seine Sache: Ihn trieb die Lust am Machen.

Umgekehrt bewies er auch Hartnäckigkeit: Interessierte ihn eine Sache wirklich, blieb er jahrzehntelang am Ball. So kam er in letzter Zeit auf ein Projekt zu sprechen, mit dem Titel „In Europa gehen die Lichter aus“, nach einem Artikel im „Stern“, den er 1959 gelesen hatte und den er mir nun 30 Jahre später vorlegte. Die letzten zehn Tage vor Beginn des 2. Weltkriegs, vom 21. August bis zum 1. September 1939. Er ließ mir keine Ruhe, bis wir schließlich vor einem Monat gemeinsam ein erstes Drehbuch fertigstellten. „Diesen Film muss Europa machen!“, sagte er, der zeitlebens nur unterhalten und bloß nichts Politisches machen wollte!

Wie alle großen Väter hat er wenige Söhne, die sich mit ihm messen können. Es fehlt dem deutschen Film an unabhängigen Produzenten, die mit eigenem Kapital als Unternehmer auftreten können und die Filme aus Leidenschaft machen, nicht als Angestellte von Konzernen, deren Shareholder-Value sie erhöhen müssen. Darüber habe ich ihn oft und heftig mit seinem Freund Leo Kirch debattieren hören. Er wollte den Freund zurückholen in die Welt des Films und warnte ihn vor der Gefahr, allein den Moloch Fernsehen herauszufordern. Überhaupt hatte er nicht nur das Herz, sondern auch das Mundwerk am richtigen Fleck und mischte sich bis zuletzt ins Geschäft und in die Filmpolitik ein. Obwohl er wußte, dass ihn das alles, Filmakademie oder Filmfonds, nicht mehr betreffen würde...

Was heißt es schon zu sagen, dass er ein großartiger Mensch war. Freundschaften kann man in Nachrufen nicht gerecht werden. Fest steht, dass er uns fehlen wird, auch im Olympia-Stadion, wo er so gerne saß, um auf „unsere Hertha“ zu schimpfen.

Volker Schlöndorff drehte zum 80. Geburtstag des Produzenten im März dieses Jahres einen Arte-Film über Wendlandt: „Ein Produzent hat Seele oder er hat keine“

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