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Kultur: Variantenreich

Corinna Kirchhoff rezitiert „Melodramen“ am BE

Der Mann, der Corinna Kirchhoff einst für die Schaubühne entdeckte, hat just in einem seiner lustigen Interviews klargestellt, was eigentlich das Wesen der elitären Gattung Theater ausmache: „Man muss sich auf die Kunst zu bewegen“, erklärt Peter Stein. „Das ist nicht wie beim Fernsehen oder beim Internet, das man geliefert bekommt. Wo man ein Bier dazu trinken und auch noch onanieren kann.“ Gut gesprochen! Die Menschen allerdings, die sich auf das Berliner Ensemble zu bewegten, um den schönen Rezitations-Abend „Melodramen“ mit Corinna Kirchhoff zu erleben, konnten einmal mehr die Erfahrung machen, dass im Theater zwar die Flaschen und Hosen zubleiben, aber hohe Kunst und leichthin Genießbares im Zweifelsfalle nah beieinander liegen.

Auch das Melodram, also das Zusammenspiel von Musik und gesprochenem Wort, das Wagner als „Genre von unerquicklichster Gemischtheit“ schmähte, ist ja seinem Ursprung nach ein Jahrmarktsvergnügen. „Ganze Wasserbäche von Weiberverehrung“ brachen nach Komponistenauskunft über Richard Strauss und den Hofopern-Intendanten Ernst von Possart herein, als sie 1898 mit „Enoch Arden“ auftraten – und das, obwohl Strauss seine Klavierkomposition zur Fabel von Alfred Lord Tennyson selbst „Gelegenheitsschund“ nannte.

„Enoch Arden“ bildet auch das Herzstück des BE-Abends. Peter Müller am Steinway und Corinna Kirchhoff am Stehpult beleben mit Verve diese Geschichte eines Seemanns, der Schiffbruch erleidet und als verschollenen gilt, weswegen seine Ehefrau den gemeinsamen Jugendfreund heiratet. Es ist ein ebenso mitreißendes Konzert-Melodram wie Robert Schumanns „Ballade vom Heideknaben“ nach Friedrich Hebbel oder wie Franz Liszts „Der traurige Mönch“ nach Nicolaus Lenau und seine Vertonung des über Gräber galoppierenden Schauergedichts „Leonore“ von Gottfried August Bürger. Kirchhoff, die eben keine entrückte Diva ist, wirft sich mit Körpereinsatz und ironiefreudigem Variantenreichtum der Stimme in die Deklamationen, und manchmal muss man dabei an ihren schönen Auftritt in Yasmina Rezas „Der Gott des Gemetzels“ denken, wo sie sich ausgerechnet auf einen kostbaren Kunstband übergibt. Patrick Wildermann

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