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Kultur: Variationen des immer Gleichen: Modul-Möbel machen den privaten Wohnbereich flexibel und mobil. Ursprünglich waren sie für Büros gedacht

Kinderträume werden wach. Erinnerungen daran, wie aus schlichten Bauklötzen ganze Kleinstädte zusammengebastelt wurden, wie sie kurzerhand wieder in Trümmern lagen und dann erneut entstanden.

Kinderträume werden wach. Erinnerungen daran, wie aus schlichten Bauklötzen ganze Kleinstädte zusammengebastelt wurden, wie sie kurzerhand wieder in Trümmern lagen und dann erneut entstanden. Wenn der Erwachsene die Einrichtung seiner Wohnung mit Systemmöbeln angeht, ist es kaum anders. Die sogenannten Container-Möbel funktionieren wie das klötzige Kinderspielzeug. Aus einer Auswahl von Grundelementen lassen sich Stauräume, Abstellplätze und Regalflächen schaffen, die sich den räumlichen Gegebenheiten und jeweiligen Bedürfnissen anpassen.

Der Gedanke, die Möblierung in quaderförmige Einzelteile aufzulösen, die der Endverbraucher nach seinen eigenen Vorstellungen zusammenfügen kann, wurde zwar erst in den 70er Jahren populär, aber schon weitaus früher realisiert. Inspiriert von Überseekoffern und Büroblechkorpussen entwarf Le Corbusier bereits in den zwanziger Jahren für seine Wohnmaschine die mobilen Elemente "Casiers standard", die sich beliebig zu Vitrinen, Nachttischen, Schränken und Regalen arrangieren ließen. Inzwischen gehören Modul-Möbel zum Standard modernen Wohnens. Sie erfüllen den Anspruch nach Individualität und Mobilität, den Wunsch, sich frei und flexibel einrichten zu können, ohne die Standardmaße der Hersteller berücksichtigen zu müssen.

Ein Klassiker unter den Systemmöbeln ist das Profilsystem der Firma Flötotto. Es kam bereits vor über zwanzig Jahren auf den Markt und überzeugt durch sein solides Design. Damals war es vorwiegend für Büros und Praxen gedacht. Doch längst hat das Möbelsystem erfolgreich Einzug in den privaten Wohnbereich gehalten. Flötottos praktische Einrichtungslösung basiert auf gleichaussehenden Container-Quadern aus stabilen Massivholzprofilen, in denen melaninharzbeschichtete Spanplatten sitzen. Je nach Belieben können sie positioniert, gestapelt, umgestellt und kombiniert werden: zur Schrankwand, in ein Bücherregal, zum Küchen- oder Schlafzimmerschrank. Die Rahmen und Platten gibt es in diversen Hölzern und Farben, in verschiedenen Höhen, Breiten und Tiefen. Zudem können die Einzelteile je nach Zweck aufgerüstet werden - mit Schubkästen, Teleskopauszügen, Türen oder einsetzbaren Glasplatten.

Monotonie als Stilmittel

Modul-Möbel leben in erster Linie von ihrer Veränderbarkeit. Durch die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten der immer gleichen Einzelelemente kann die ästhetische Eintönigkeit der Möbelsysteme spielerisch durchbrochen werden. Zum Teil wird die Monotonie auch bewusst als Stilmittel eingesetzt - etwa bei dem sehr spartanisch, aber doch elegant anmutenden Regal- und Vitrinensystem, das der Designer Jesus Gasca für die spanische Firma "Stua" entwickelt hat. Dieses Modul-Möbel lässt sich zu einem einzelnen oder zu mehreren Möbeln zusammenfügen, ohne dabei das rechteckige Grundelement zu verleugnen.

Den meisten modernen Container-Möbeln ist ihre quaderförmige Herkunft allerdings kaum mehr anzusehen. Bei den Systemmöbeln der höheren Schule tritt anders als etwa bei dem Profilsystem von Flötotto das kastenförmige Grundelement nicht mehr klar und unverhüllt zum Vorschein. Beispielhaft für ein solches System ist das Kastenmöbel-Programm "Sansibar", das Anfang der neunziger Jahre der Designer Thomas Althaus für die Firma "Die Collection" entworfen hat. Hier stehen die Einzelelemente für sich allein im Raum und vermitteln durch gleiches Design Geschlossenheit - fast wie bei der guten alten Garnitur.

Der Vorteil von "Sansibar", das mit seinem minimalistisch modernen Design gerade junge Leute ansprechen soll, besteht darin, dass man sich Kasten für Kasten ein komplettes Wohnambiente zusammenkaufen kann. So kann man die Schränke, Regale, Sideboards, Mediencontainer oder Vitrinenkorpusse nach und nach anschaffen und mutig zwischen den in Hellgelb, Jadegrün oder Paprika gebeizten Ahorn-Oberflächen wählen. Die allseitige Variabilität wird noch betont, wenn man unter den Möbeln Rollen anbringt, die die einzelnen Elemente durch den Raum wandern lassen.

Die flexiblen Baukastensysteme haben noch den unschätzbaren Vorteil, den Umzug zu erleichtern. Doch gerade wegen des hohen praktischen Moments erinnern ModulMöbel immer auch an den soliden, allerdings nicht sehr exklusiven Charme von Abholmöbeln. Doch das Vorurteil trifft nicht immer. Auch die praktischen Modul-Möbel gibt es in eleganten Varianten.

Zu den noblen Versionen gehört etwa das Möbel-Bausystem USM-Haller, das Fritz Haller Anfang der sechziger Jahre entwarf. Es besteht aus verchromtem Stahlrohr mit Glas oder lackierten Stahlblechen und ist sowohl in gewerblichen wie privaten Wohnräumen zum Prestigeobjekt und zur formschönen wie funktionalen Einrichtungslegende geworden. Auch Star-Designer wie Jasper Morrison beschäftigen sich mit Modul-Systemen. "Plan" nennt sich das aktuelle Containerprogramm, das der Designer für die italienische Firma Cappellini entworfen hat. Die einzelnen, variabel kombinierbaren Elemente des Systems bekommen Lebendigkeit durch ihre knalligen Oberflächen in den Bonbonfarben Rot oder Orange.

Rückkehr des guten Stücks?

Uneingeschränkt ist die Euphorie für Systemmöbel allerdings nicht mehr. Die über Jahre beschworenen Zauberwörter wie Flexibilität und Multifunktionalität scheinen etwas abgenutzt. Langsam setzt sich die Einsicht durch, dass die variablen Nutzungsmöglichkeiten selten in ihrer ganzen Palette ausgelebt werden. Vor allem im "highend"-Bereich, wie man bei "Minimum" in Berlin meint, sind die zur kompletten Möblierung zusammengesetzten Bausteinelemente weniger beliebt. Man legt vielmehr Wert auf die Betonung einzelner Möbel, zelebriert, wie schon in den Gründerzeittagen, die Ikonifizierung des guten Stücks.

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