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Roberto Alagna (vorne, l.) als Vasco da Gama und Sophie Koch als Selica.

© Eventpress Hoensch

"Vasco da Gama" an der Deutschen Oper Berlin: Irrweg nach Indien

Die Deutsche Oper ehrt Giacomo Meyerbeer, den Erfinder der Grand Opéra, mit einer Neuinszenierung von „Vasco da Gama“ – als Auftakt eines groß angelegten Zyklus.

Dieser Schlussstein des Berliner Opernpremierenreigens ist ganz richtig gesetzt: Nach Jacques Offenbach an der Komischen Oper und Richard Wagner an der Staatsoper will die Deutsche Oper mit Giacomo Meyerbeers Grand Opéra „Vasco da Gama“ die längst fällige Rückkehr des Komponisten in seine Heimatstadt einleiten. Nicht zuletzt eine antisemitisch aufgeladene Häme trachtete danach, das Werk des 1791 als Jakob Meyer Beer geborenen Musikers als zweitklassig zu beurteilen. Dort das deutsche Originalgenie Wagner, das aus der Tiefe des wahren Gefühls zu schaffen wusste, hier der zu ewigem Zusammenstückeln und Imitieren verdammte jüdische Tonsetzer, der in Paris Erfolge feierte. Magie versus Mimikry.

Ihre auf drei Spielzeiten angelegte Meyerbeer-Rehabilitierung rollt die Deutsche Oper quasi von hinten auf: Am Beginn steht mit „Vasco da Gama“ das letzte Werk des Komponisten, das er selbst gar nicht mehr zur Premierenreife führen konnte. Zusammengestrichen erlebte die Oper unter dem in die Irre führenden Titel „L’Africaine“ nach Meyerbeers Tod ihre Uraufführung. Und erschien damals, 1865, schon als veraltet – nur wenige Monate später wurde Wagners „Tristan“ zum ersten Mal öffentlich zelebriert. Heute wissen wir: Alles, worin Meyerbeer den Opernkonventionen seiner Zeit voraus war, ging in den Strichen unter. Vielleicht mussten deshalb bislang alle Versuche scheitern, „Die Afrikanerin“ wieder dauerhaft für unsere Opernbühnen zu entdecken. An der Staatsoper lief 1992 ein hilflos schlingernder Versuch auf Grund, begleitet vom legendären Premierenzwischenruf: „Armer Meyerbeer!“

Der Inszenierung liegt die kritische Neuausgabe von 2013 zugrunde

Wie reich das Ausdrucksvermögen dieses Komponisten tatsächlich ist, davon zeugt die kritische Neuausgabe unter dem ursprünglich von Meyerbeer vorgesehenen Titel „Vasco da Gama“. 2013 wurde sie erstmals in Chemnitz auf die Bühne gewuchtet. Eine letztgültige Aufführungsfassung stellt das rund fünfstündige Material aber nicht dar, weil es keine Fügung letzter Hand gibt. Und weil der absolute Werkgedanke (Wagners Wähnen!) noch nicht vollends die Sinne von Theatermachern gelähmt hatte. Ein Original im Sinne musealer Unangreifbarkeit kann es also auch an der Deutschen Oper nicht geben, wo man gut viereinhalb Stunden inklusive zweier flott genommenen Pausen zubringt. Das lässt Regisseurin Vera Nemirova und ihrem musikalischen Leiter Enrique Mazzola die Chance, eine Spielfassung zu zeigen, in der tatsächlich Leben steckt.

Denn gestrig sind das Sujet von „Vasco da Gama“ und seine musikalische Dramatisierung keinesfalls. Die Geschichte um den portugiesischen Seefahrer, der seinem Land eine Vormachtstellung und sich selbst Unsterblichkeit durch die Erkundung des Seewegs nach Indien sichern wollte, umfasst Elementares wie Aktuelles: Habsucht und Lieblosigkeit, Machtmissbrauch und Ausbeutung, religiösen Eifer und die Vernichtung von Fremden. Ja, es gehört schon Fingerspitzengefühl dazu, sich da nicht gleich dem erstbesten gedanklichen Kurzschluss zu ergeben.

Doch es dauert nur ein kurzes Weilchen, da flutet im Gefolge der vermeintlichen Sklavin und wirklichen indischen Königin Selica die geballte Statisterie der Deutschen Oper mit gefalteten Papierbötchen in der Hand als Boat People die Bühne. Die Verschleppte, ein Leitstern der Flüchtenden? Eine Entdeckungsreise, die mit derart schiefer Bilderfracht ablegt, geht unweigerlich vor der zweiten Pause in den Maschinengewehrsalven von Piraten zugrunde. Nicht jedoch, ohne unmittelbar zuvor ein paar galoppierende Meyerbeer-Takte zum willkommenen Anlass für unbeholfenen Tingeltangel mit Bambusstöcken zu nutzen. Grand Opéra – ganz klein.

Einsamkeit durch musikalischen Intelligenz

Im indischen Showdown wird die von Vasco da Gama ersehnte Fremde als Folklore für Amateurethnologen ausgebreitet. Selica, die Mezzosopranistin Sophie Koch mit dem gut verborgenen Charme einer Friedenauer Yogaschwester, hintere Mattenreihe, ausgestattet, heiratet hier im Blütenmeer den geliebten Eroberer ihrer Heimat. Der aber liebt nur sich oder betet übersprungartig die idealisierte Sandkastenfreundin Ines an, die, um Vasco aus dem Kerker herauszubekommen, seinen Rivalen heiratete. Am schwersten an der Liebe trägt Nelusco, der seiner Königin Selica voll ergeben ist und sie dennoch niemals besitzen wird. Der Liebesverrat lauert allüberall, doch die Regisseurin lässt die Rivalinnen einfach ihre schlappen Händchen halten. Dafür muss Nelusco zur Illustration seines Hasses eine Nonne (oder Hure?) in roten Strapsen auf dem Souffleusenkasten nageln. Das ist deshalb besonders tragisch, weil Markus Brück der einzige Sänger ist, dem es gelingt, einen Menschen aus Fleisch und Blut auf die Bühne zu bringen – mit einer Hingabe und einer musikalischen Intelligenz, die ihn an diesem Abend sehr einsam macht. Und zur Zielscheibe einer Regie, die aus eigener Kraft nichts zu erreichen weiß.

Roberto Alagna passt da über weite Strecken ganz gut hinein, der reisende Gaststar als rastloser Eroberer von Ruhm. Standesgemäß lässt er sich als erkältet ansagen und hustet einige Male sehr bewusst zwischen Kerker und Schiffsdeck. Die vokale Drehung um sich selbst beherrscht er, seine schwere Partie auch weitgehend, nur der einzige Schlager des Abends, die Arie „Oh doux climat!“, gerät ihm dünn. Vielleicht, weil sich zu diesem Zeitpunkt das ihm zugestandene Rollenpotential erschöpft hat. Nino Machaidze als Ines lässt ihre Sopranstimme für ein schwärmerisches Mädchen arg rau vibrieren, findet aber als verhärmte Gattin treffende Töne. Seth Carico ist als Don Pedro ein alerter Gegenspieler ohne Ladehemmung.

Dass die musikalische Ausbeute des weiten Seewegs ums stürmische Kap von Afrika überschaubar bleibt, liegt auch am Dirigenten Enrique Mazzola. Sein federndes Gespür für Rossini hat er an der Deutschen Oper bewiesen, doch Meyerbeer setzt den Belcanto mit anderen Mitteln fort. Harmonische Tiefe und Weite nehmen zu, da braucht es einen, der den Laden zusammenhalten kann und dabei Kontakt zu jenem dunklen Strom hält, der „Vasco da Gama“ durchzieht. In ihm schlummern Einsamkeit und eine tiefe Skepsis in musikalischen Wendungen, die uns noch heute überraschen können (und nicht nur Wagner anders hören lassen).

Wenn zum Auftakt des Meyerbeer-Zyklus‘ die Bühne nicht glüht, sich nicht alles in Theater verwandelt, um die Welt darin aufscheinen zu lassen, dann ist das auch eine Hypothek für die Produktionen von „Die Hugenotten“ und „Der Prophet“ in den kommenden Spielzeiten. Mehr Mut und mehr Klarheit wird es brauchen, um der Deutschen Oper hier exemplarische Inszenierungen abzuringen. Und weniger Verdruckstheit. 800 000 Euro an zusätzlichen Lottogeldern stecken in „Vasco da Gama“, während man der Bühne von Jens Kilian vor allem eines ansieht: den innigen Wunsch, dass das bloß keiner bemerkt.

Weitere Vorstellungen am 7., 11., 15., 18. und 24. Oktober

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