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Kultur: Vaterland, magst böse sein

Königskinderliebe: Jeanine Meerapfels Erinnerungserkundung „Der deutsche Freund“.

Das Land ist weit und leer. Der Zug braucht eine Ewigkeit, um Patagonien zu durchqueren, eine Reise bis ans Ende der Welt. Eine gewaltige Entfernung liegt zwischen Friedrich und Sulamit, dem jahrelang verschleppten, aus dem Gefängnis entlassenen Freiheitskämpfer und der aus Deutschland zurückgekehrten Jüdin: eine schier unermessliche Leere inmitten einer Liebe, die ganz und gar unmöglich ist. Es ist das Schweigen, das die beiden fast ein Leben lang trennt und ihre Liebe zu ersticken droht, das Schweigen der Eltern über die deutsche Geschichte, das sich bis in die nächste Generation erstreckt. Ein stilles, starkes Anfangsbild.

Damals, in den fünfziger Jahren waren sie Nachbarskinder im deutschen Viertel von Buenos Aires, Sulamit (Celeste Cid), die Tochter jüdischer Emigranten, und Friedrich (Max Riemelt), Sohn eines nach Argentinien geflüchteten SS-Manns. Jede Fiktion, sagt Regisseurin Jeanine Meerapfel, ist biografisch und dass sie als Filmemacherin naturgemäß eine Sammlerin ist. Aus ihrer eigenen Exil-Kindheit im deutschen Viertel erinnert die Regisseurin von ähnlichen Zwischen-den-Welten-Erkundungsfilmen wie „Malou“, „Amigomio“ oder „Annas Sommer“ solche Nachbarschaft. Ja, das gab es, Nähe und Freundschaft zwischen den Kindern der überlebenden Opfer und denen der Täter, die meist nichts über Auschwitz wussten. Sie erinnert auch die hochnäsigen Katholikinnen in der französischen Schule, wie Sulamit sie erlebt, das Gefühl, als Jüdin nicht dazuzugehören (Tsp. vom 28. 10.). Oder den Brotkorb aus Bast mit dem eingeflochtenen Hakenkreuz, den sie Jahre später beim Kulturtreff in einer deutschen Villa am Comer See im Schrank entdeckte und der im Film bei Friedrichs Familie auftaucht – Spuren einer Vergangenheit, die nicht vergeht.

Mit solchem Sammelgut hat sie „Der deutsche Freund“ angereichert, diese Königskinderliebesgeschichte von Sulamit und Friedrich, in der sich das Schweigen ausbreitet, das Trauma der Juden, die verdrängte Naziwelt der Eltern – und das Nachbeben in den eigenen kindlichen, jugendlichen Seelen.

Sie lieben sich also und reden nicht. Nicht als Friedrich entdeckt, in welcher Uniform sein Vater steckte. Nicht als er nach Frankfurt geht, um sich der Studentenbewegung anzuschließen. Nicht als auch Sulamit in das Land ihrer Väter zurückkehrt und vor der Rigorosität mancher Achtundsechziger zurückschreckt (auch das kennt Jeanine Meerapfel aus der Zeit, als sie am Ulmer Institut für Filmgestaltung bei Alexander Kluge und Edgar Reitz studierte). Nicht als sie Friedrich, der sich den argentinischen Guerilleros anschließt, im Gefängnis in Patagonien besucht. Die beiden schauen einander kaum an, als sie sich gut bewacht gegenübersitzen. Noch eine starke Szene in diesem geduldig, aber recht konventionell der Chronik der Ereignisse folgenden, gediegen ausgestatteten Film. Celeste Cid und Max Riemelt wirken befangen in ihren Rollen, aber das passt: Bis zum dezent hoffnungsvollen Schluss fühlen sie sich fremd in der eigenen Haut. Christiane Peitz

Central, Filmkunst 66, Kulturbrauerei;

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