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Venedig: "Deutscher Tag" bei der Architektur-Biennale

Im deutschen Pavillon in Venedigs Park der "Giardini" zeigt das Büro "Walverwandschaften" seinen Beitrag zur diesjährigen Architekturbiennale. Mehr als 180 "Sehnsuchts-Skizzen" von über 150 Künstlern schmücken den zentralen Ausstellungsraum.

Es gab Zeiten, da war die Architektur-Biennale von Venedig eine bessere Immobilienmesse. Projekte wurden vorgestellt oder, besser gesagt, angepriesen, von Architekten und Investoren gleichermaßen. Höher, größer, prächtiger - doch mit dieser Trias der Wachstumseuphorie ist es mittlerweile vorbei. Schon die zurückliegende Biennale frönte nicht mehr den großen Bauten, und die jetzige, am heutigen Sonnabend zu eröffnende tut es noch weniger. Da kommt der deutsche Beitrag im richtigen Augenblick. "Sehnsucht" hat das Kuratorentrio unter dem hintersinnigen Namen "Walverwandtschaften" sein Konzept überschrieben, Unterzeile "Porträt der Sensibilität zeitgenössischer deutscher Architektur".

183 Zeichnungen von Architekten und Kulturschaffenden haben die Kuratoren unter Leitung der Münchnerin Cordula Rau gesammelt und in den deutschen Pavillon gehängt. Der gestrige Freitag war gewissermaßen der "deutsche Tag" der Biennale, mit Pressekonferenz, Eröffnung und Party, fein über den Tag verteilt. 50 herrlich bequeme Sessel der Nobel-Marke Knoll zieren den mittleren, größten Saal des 1909 erbauten und dreißig Jahre später neoklassisch auf Linie gebrachten, ursprünglich als "Bayerischer Pavillon" erbauten Hauses. Die Wände sind mit feinem roten Stoff der Traditionsfirma Rubelli bespannt, richtiggehend bespannt, wie in den venezianischen Palazzi üblich und in allen Hotels der Stadt, die etwas auf sich halten. Solchermaßen in beinahe schon dekadentem Luxus geborgen, mochte keiner der anwesenden Kritiker gegen die "Bespielung" des vermeintlichen Nazi-Bauwerks Sturm laufen, wie dies in den vergangenen Wochen verschiedentlich angeklungen war. Abreißen? Ach was. Staatssekretär Jan Mücke aus dem Bundesbauministerium wandte sich dagegen, Geschichte einfach abzureißen, und damit war's dann auch schon um den pseudo-kritischen Impetus des einsamen Fragestellers geschehen, er die Abreißpläne als Frage formuliert hatte.

Man fühlt sich wohl im "Roten Salon", wie die Kuratoren ihren Hauptraum getauft haben, eine hintersinnige Anleihe beim so ganz verschiedenen, eher auf Krawall gebürsteten "Roten Salon" der Berliner Volksbühne aus der Anfangszeit ihres mittlerweile auf altersbedingte Unkündbarkeit zusteuernden Dauer-Intendanten Castorf. Man fühlt sich wohl, weil der Raum so licht und leicht geworden ist, dank der Freilegung der erstaunlich zahlreichen Fenster unterhalb des Dachansatzes, die den hellblauen Himmel der Lagune hereinlassen. Und seitlich haben die Kuratoren den Notaufgang geöffnet, der direkt in den Garten hinausführt und bis an den Rand des Wassers, getrennt nur durch ein zierliches Gitter. Was für ein heiter-sommerlicher Ausblick! Genau dort wurde denn auch der Stehempfang abgehalten.

Die 183 Skizzen, die das Thema "Sehnsucht" weniger illustrieren als selbst verkörpern sollen, sind - wie sollte es anders sein - von unterschiedlicher Qualität und Aussagekraft. Ein jeder hat eben zeichnen mögen, was er für die Sehnsucht hält, die ihn oder sie zur Arbeit beflügelt oder auch antreibt. Das mögen abstrakte Gedanken sein, hehre Motive, aber auch so etwas herrlich Konkretes wie der Wunsch, endlich einmal den Sockel eines Reiterstandbildes entwerfen zu dürfen. Mancher Architektenkollege, der den Pavillon besuchte, mochte über so viel geistige Leichtigkeit die Nase rümpfen, mancher will nur für konkrete Entwurfsaufträge den eigenen Kopf in Bewegung setzen. Nun, der homo ludens ist eben nicht jedem eigen.

Dabei ist Venedig doch ein einziger Sehnsuchtsort, wie der inhaltsschwere Begleitband zum deutschen Beitrag ausführt. Sehnsucht ist überhaupt etwas zutiefst deutsches. Man muss es jedenfalls annehmen, schaut man nur auf die beiden anderen Beiträge deutschsprachiger Länder, die gleichfalls gestern eröffnet wurden. Österreich wirbt mit den Bauten eigener Büros in aller Welt und von Büros aus aller Welt im heimischen Austria. Was für ein gedankenarmer Ansatz! Das zu überdecken, reichte auch das gewohnt feierwütige Publikum am späten Nachmittag nicht aus. "Under Construction", ist der Beitrag überschrieben; wohl auch ein ungewolltes Eingeständnis, was die eigene Gedankentiefe anbelangt.

Ganz anders die Schweiz. Da blieb noch um 17 Uhr, zum angegebenen Beginn der Einweihungsfeierlichkeiten, das Metallgitter verschlossen. Die Schweiz feiert nicht, solange nicht alles hundertprozentig gerichtet ist. So ist auch der Beitrag von Jürg Conzett, Bauingenieur mit eigenem Büro in Chur: hundertprozentig durchkonstruiert. Conzett ist mit dem Fotografen Martin Linsi auf Reisen gegangen und hat Brückenbauten besichtigt, sein eigenes Arbeitsgebiet; unter dem Titel "Landschaft und Kunstbauten" hat er jedoch das enge Wechselspiel zwischen der alpinen und teils auch hochalpinen Landschaft und den Eingriffen des Ingenieurs in wunderbarer Weise anschaulich gemacht. Es gibt nichts als Schwarz-Weiß-Fotos, auf grauen Stellwänden arrangiert und mit sachlich-trockenen Erläuterungen versehen; und doch entfaltet sich darin die Poesie eines durch und durch zivilisierten Umgangs mit der Landschaft. Geschwungene Brücken, gemauerte Viadukte, der frühe Einsatz des Betons bereits vor dem Ersten Weltkrieg; Eisenbahnen, Straßen oder auch gedeckte Holzbrücken vom Ende des 18. Jahrhunderts: Hier ist eine Harmonie zu entdecken, die nicht erzwungen und verlogen ist, sondern die Eingriffe und Reibungen kennt, und die dennoch ein Miteinander als reale Möglichkeit aufzeigt. Eine Ausstellung als ästhetischer Hochgenuss. Und in rechter Ordnung, also angemessen, gefeiert. Aber erst ab 17 Uhr und keine Sekunde früher.

Ob sich da schon ein Favorit für die heute Mittag anstehende Entscheidung der Jury für den Goldenen Löwen abzeichnet? Wohl kaum. Zuletzt gab es ja durchaus Überraschungen, bereits zwei Mal hintereinander kam keine der großen Architekturnationen zum Zuge, sondern mit Ägypten und Polen eher Außenseiter des internationalen Architekturbetriebs. Dieweil schwebte Kazuo Sejima, die japanische, mit dem Pritzker-Preis dieses Jahres höchstdekorierte japanische Architektin und Generalkommissarin der Biennale, über das Gelände, um sich ganz bescheiden an einem einsamen Tischchen des wie stets improvisierten Freiluftcafés niederzulassen. Bescheidenheit in ihrer unnachahmlichen, asiatischen Form, das könnte in diesem Jahr der Schlüssel zum Erfolg sein und der Königsweg zum Leone d'Oro der Biennale.

(Fortsetzung folgt)

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