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Strandleben um 1920. Das Hôtel Des Bains in seiner Hochzeit.

© mauritius images

Venedig: Tod am Lido

Das Grand Hôtel Des Bains in Venedig verschwindet.

Von Gregor Dotzauer

Zuletzt ächzte nur noch eine müde Legende im Lagunenwind. Die neoklassizistische Fassade des Grand Hôtel Des Bains auf dem Lido von Venedig hatte allen Glanz verloren. Der Jugendstil im Inneren zeigte Altersspuren, der Luxus der 191 Zimmer war fadenscheinig geworden, und selbst im Sonnenlicht ließ sich kaum entscheiden, ob das Haus einen anheimelnden oder einen unheimlichen Charme besaß. Bei den Sommergästen war es trotzdem beliebt, und die herbstlichen Besucher der Filmfestspiele, denen das Excelsior zu protzig war und das Hungaria zu bescheiden, tauchten hier ein in eine belle époque, die mit etwas Fantasie immer noch als diejenige durchging, in der Thomas Mann im Mai 1911 sein Herz an den Knaben Baron Wladyslaw Moes verlor – so wie Gustav von Aschenbach, der Protagonist seiner im Jahr darauf erschienenen Novelle „Tod in Venedig“, sein Herz an die vollkommene Schönheit des Jünglings Tadzio hängte.

Mag sein, dass das stillschweigend geschlossene Hôtel Des Bains, dessen Speisesaal „Sala Thomas Mann“ hieß, nur noch ein unrettbarer Kasten war. Was die EstCapital SGR, die ihn im Oktober 2008 zusammen mit dem Excelsior, kleineren Immobilien, Land und über 1000 Strandhütten erwarb, nun aber plant, kommt einer Leichenschändung gleich. An seiner Stelle entstehen Luxusapartments mit Hotelservice. Kaufpreis: 12 000 bis 20 000 Euro pro Quadratmeter. Eröffnung: Ende 2011. Auch Mieter werden gesucht.

Der allenthalben leicht heruntergekommene Lido erhält dafür zwar auch 2,2 Kilometer runderneuerte Strandpromenade. Aber kein venezianischer Stadtpolitiker hat das gigantische Investitions- und Restrukturierungsprojekt mit einer Auflage bedacht. Als Kulisse für Regisseure von Luchino Visconti bis Anthony Minghella („Der englische Patient“) hat der Lido ausgedient. Vorschlag zum Abschied: Man bestatte die Überreste des Hôtel Des Bains, 110 Jahre nach seiner Eröffnung, wenigstens auf der benachbarten Toteninsel San Michele.

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