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Kultur: Verachtet mir die Spanier nicht

In Hamburg neu zu entdecken: Werke von Greco, Velázquez und Goya aus deutschen Sammlungen

So viel düstere Pracht, so viel religiöse Inbrunst war nie im protestantisch nüchternen Norden. Fast gierig saugt sich der Blick des Hl. Bruno in das Gesicht des Jesuskinds, auf Jusepe de Riberas Weimarer Madonnenbild. Schneeweiß, fast kalkig leuchtet das Fleisch der entblößten „Büßenden Magdalena“ von El Greco aus Budapest. Das Dresdner „Gebet des Hl. Bonaventura“ von Francisco de Zurbarán ist in dramatisches Hell-Dunkel getaucht. Und gütig, als gehe ihn das alles nichts an, blickt Goyas „Don José Queraltó“ auf das erregte Geschehen.

Im Bucerius-Kunstforum in Hamburg ist seit Samstag die Ausstellung „Greco, Velázquez, Goya. Spanische Malerei aus deutschen Sammlungen“ zu sehen. Ein Paradox: Gezeigt wird eine Reihe bekanntester, beliebtester Werke aus deutschen Museen – doch die Ausstellung kommt wie eine Neuentdeckung daher. Als in den Siebzigerjahren eine große Spanien-Ausstellung in München zu sehen war, konnte man von einer Vereinigung der ost- und westdeutschen Museumsbestände nur träumen. Doch was in Hamburg wie ein kunsthistorisches Steckenpferd des Kurators Matthias Weniger erscheinen könnte, nämlich die Bestandsaufnahme aller spanischen Werke in deutschen Sammlungen, erweist sich als eines der spannendsten Ausstellungsprojekte dieses Sommers. Weil es Aufschluss über Geschmackswandel, Sammlungsinteressen, Ankaufspolitik und Versäumnisse der Museen bis in die jüngste Zeit hinein gibt. Und weil es, mit einer erstaunlichen Reihe von Meisterwerken, die neue Sehnsucht nach Religiosität, nach Intensität und leidenschaftlicher Sinnsuche aufs Schönste bedient.

Dass eine solche Ausstellung überhaupt zustande kommt, ist keine Selbstverständlichkeit. Sind es doch Hauptwerke, von denen sich die Museen auf längere Zeit trennen mussten. So hat die Neue Pinakothek in München ihre Goya-Wand komplett abgeräumt, Dresden gab alle drei Velázquez, die es besitzt, und kleine Museen wie Aachen trennten sich oft vom einzigen Highlight aus dem Bereich der spanischen Malerei. Parallel zur Ausstellung „Französische Malerei in deutschen Sammlungen“, die derzeit im Pariser Grand Palais zu sehen ist, wurden in Hamburg 60 Werke zusammengetragen. Das scheint nicht viel, denkt man an den Reichtum der Museen von Berlin, München und Dresden. Bezogen auf die spanische Malerei jedoch ist es ungeheuer viel.

Denn die spanischen Maler waren immer die Außenseiter in den deutschen Sammlungen, bis in die jüngste Zeit. Groß sind die Bestände nicht, und oft erst im 19. Jahrhundert angekauft. Dresden zum Beispiel, wohin die Ausstellung zur Feier des 150. Jubiläums der Sempergalerie im September weiterwandert, erwarb erst 1853 einen bedeutenden Bestand an spanischen Werken. Die deutschen Museen, die sich bis in die Architektur hinein traditionell auf die Doppelspitze Italien/Niederlande konzentriert hatten, standen der spanischen Malerei lange etwas ratlos gegenüber. Und diese Missachtung hält an: Noch im vergangenen Jahr, als die Weimarer Kunstsammlungen im Zuge der Abfindungsverhandlungen mit dem Herzoghaus Sachsen-Weimar und Eisenach mehrere Millionen benötigten, entschlossen sie sich zum Verkauf des einzigen Ribera-Gemäldes ihrer Sammlung: das herausragende Monumentalwerk „Madonna mit dem Hl. Bruno“ wird hoffentlich in Kürze die Berliner Gemäldesammlung schmücken. Diese verfügte bislang nämlich noch über keinen einzigen Ribera.

Was die Museen zu erwerben versäumten, liebte das Publikum lange umso inniger: Die Heiligenlegenden eines Ribera, im 19. Jahrhundert einer der gesuchtesten und meistkopierten Maler, mögen in Vergessenheit geraten sein, ebenso Murillos knopfäugige Melonenesser, die einst als Reproduktion bürgerliche Wohnungen schmückten. Doch Velázquez und Goya stehen unangefochten an der Spitze der Beliebtheit, seit Kunsthistoriker und Maler in ihnen die Väter des Realismus und der Moderne entdeckten.

Edouard Manet schwärmte nach einem Prado-Besuch 1865: „Es sind alles Meisterwerke.“ Und der Kunsthistoriker Carl Justi schrieb 1888: „Neben Velázquez erscheint Tizians Colorit conventionell, Rembrandt phantastisch und Rubens mit einer Dosis manirierter Unnatur behaftet.“

Ähnlich sieht es bei El Greco aus, dem Maler, der ab Anfang des 20. Jahrhunderts als erster wirklich moderner Maler erkannt wurde und sich seitdem ungebrochener Beliebtheit erfreut. In den letzten Jahren gibt es El-Greco-Ausstellungen fast im Halbjahrestakt zu sehen, angefangen mit der großen Retrospektive von London, Wien und New York. Doch in deutschen Museen ist El Greco nach wie vor ein Desiderat. 1911 stand in München die ungarische Sammlung von Marczell Nemes zum Verkauf, die über mehrere El Grecos verfügte. Allein: Die Münchner Gemäldesammlungen konnten sich nicht zum Ankauf entschließen, ebenso wenig wie das Düsseldorfer Kunstmuseum, wo die Sammlung im Anschluss gezeigt wurde. Düsseldorf stand damals unter preußischer Oberaufsicht, und dem preußischen Hauptmuseumsankäufer Wilhelm von Bode ist das Verdikt zugeschrieben: „Vorstufen der Kunst sammeln wir nicht.“ So gingen die Greco-Bilder nach Budapest. Für die Hamburger Ausstellung kehren sie nun erstmals wieder zurück.

Bodes Verdikt hat sich als historisches Fehlurteil erwiesen. Doch noch immer gibt es gerade bei den spanischen Malern Neuentdeckungen, Zuschreibungen und Abschreibungen. Eines der schönsten Bilder in Hamburg ist überhaupt erst vor vier Monaten im Kunsthandel aufgetaucht, beim Münchner Kunsthändler Konrad Bernheimer. Jusepe de Riberas Bildnis des Hl. Andreas zeigt einen asketischen Denkerkopf; der Blick ist melancholisch-forschend, die Wange in die knorrige Hand gestützt, den Körper in ein härenes Gewand gehüllt. Das Bild wird auf 1616 datiert, wäre damit eines der frühesten bekannten Riberas überhaupt. Gerade Riberas Frühwerk ist noch wenig erforscht. Kurator Matthias Weniger rechnet nach der Hamburger Ausstellung mit weiteren Glücksfunden. Und sei es in den Depots der deutschen Museen.

Bucerius Kunst Forum, Hamburg, Rathausmarkt 2, bis 21. August, täglich 11 bis 19 Uhr. Der Katalog im Prestel Verlag kostet 24,80 Euro.

Christina Tilmann

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