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Verbrecher JAGD: Das Groschenheft ist wieder da

Jedes Jahr im Dezember bekommen die Juroren und Jurorinnen der „KrimiZEIT“-Bestenliste eine Übersicht der Titel zugeschickt, die sie in den vergangenen Monaten in die engere Auswahl genommen haben – und müssen ihr Votum für die Jahresbestenliste abgeben. Natürlich unter totaler Geheimhaltung, ist klar, aber jetzt ist das Ergebnis bekannt gegeben worden: Nummer eins ist Fred Vargas mit ihrem letzten Adamsberg-Krimi „Die Nacht des Zorns“.

Jedes Jahr im Dezember bekommen die Juroren und Jurorinnen der „KrimiZEIT“-Bestenliste eine Übersicht der Titel zugeschickt, die sie in den vergangenen Monaten in die engere Auswahl genommen haben – und müssen ihr Votum für die Jahresbestenliste abgeben. Natürlich unter totaler Geheimhaltung, ist klar, aber jetzt ist das Ergebnis bekannt gegeben worden: Nummer eins ist Fred Vargas mit ihrem letzten Adamsberg-Krimi „Die Nacht des Zorns“. Keine echte Überraschung, oder? Auch sonst ist viel Qualitätsware dabei: Mike Nicols südafrikanischer Waffenhandel-Thriller „Payback“ oder Friedrich Anis „Süden und das heimliche Leben“.

Vor allem jedoch gibt es eine Reihe von Thrillern, die stilistisch und formal radikal nach vorne schauen: Sara Grans existentialistisch angehauchter New-Orleans-Roman „Die Stadt der Toten“ zum Beispiel ist ein echter Befreiungsschlag für das siechende Genre der Detektivgeschichte und war mein persönlicher Favorit bei dieser Abstimmung. Oder Peter Temples „Tage des Bösen“, ein hochkomplexer Spionageroman, in dem mehr Don DeLillo steckt als John Le Carré. Oder „Öl auf Wasser“, ein Thriller, in dem der nigerianische Schriftsteller Helon Habila von der ölverseuchten und bürgerkriegsverwüsteten Landschaft im Nigerdelta erzählt und dafür eine ganz eigene, elegische Sprache schafft.

Das sind alles tolle Kriminalromane, die man guten Gewissens weiterempfehlen kann. Was darüber allerdings nicht vergessen werden darf: Im letzten Jahr gab es nicht nur jede Menge Kriminalromane, die man unter „avanciert“ und „literarisch anspruchsvoll“ einsortieren muss, sondern auch einen signifikanten Anstieg im Bereich der Schundliteratur. Das gute, alte Groschenheft ist wieder da – und zwar in der zeitgemäßen Variante des E-Books.

Anfang des Jahres fiel plötzlich auf, dass ein bis dahin mäßig erfolgreicher Schriftsteller namens Jonas Winner mit dem Fortsetzungsroman „Berlin Gothic“ auf der Self-Publishing-Plattform von Amazon.de einen echten Hit gelandet hatte. Winner hatte es geschafft, mit einer groben Mischung aus Sex, Crime und Horror ein ganzes Bündel niederer Instinkte anzusprechen. Ich bin gleich nach dem ersten Download süchtig geworden. Und das ging offenbar nicht nur mir so: „Berlin Gothic“ ist über 100 000-mal heruntergeladen worden. Plötzlich war er da, der Boom der digitalen Heftchenromane. Und natürlich wollten die deutschsprachigen Verlage ihn nicht allein Amazon überlassen. Bastei Lübbe war am schnellsten am Start – mit dem innovativen Multimedia-Label Bastei Entertainment und einer „digital first“-Strategie. Kaum war die E-Book-Serie „Apocalypsis“ – ein Vatikanthriller in Dan-Brown-Nachfolge – gefloppt, bastelte das Lektorat bereits an der Science-Fiction-Reihe „Survivor“, und im Herbst wurde die erste Folge von „Cotton Reloaded“ ausgeliefert. Sechzig Jahre nach dem Erscheinen des ersten „Jerry Cotton“-Heftchens ist die Serie für das E-Book-Format umgerüstet worden: mit islamistischen Selbstmordattentätern statt Mafia-Killern, drehbuchreifen Emotionen und sogar ein bisschen sexiness.

Der letzte Coup gelang dann kurz vor Weihnachten dem Piper Verlag: Er veröffentlichte die deutsche Übersetzung von Hugh Howeys Science-Fiction-Serie „Silo“, einem amerikanischen Self-Publishing-Bestseller, der die Geschichte einer postapokalyptischen Zivilisation erzählt und nach der Wirklichkeit hinter den virtuellen Oberflächen unserer eigenen Welt fragt. Auch da bin ich schon angefixt: „Silo“ ist schnell und trocken erzählt, mit übersichtlichem Personal und brutalst spannenden Cliffhangern, die, klick, klick!, zwangsläufig im nächsten Download enden. Das ist zeitgemäßer Schund für „digital natives“, maßgeschneidert für die Zielgruppe der Kindle-Junkies und iPad-Jünger. Aber unter den glänzenden Oberflächen der Retina- und Paperwhite-Displays schimmern natürlich auch verblasste Erinnerungen an die zerlesenen Heftchen durch, „Jerry Cotton“, „Perry Rhodan“, „John Sinclair“. Die haben uns Genre-Leser vor gefühlt hundert Jahren mit einem Laster bekannt gemacht, das uns bis heute nicht verlassen hat. Es ist der niederste aller literarischen Instinkte: die Gier nach mehr. Fortsetzung folgt.

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