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Verbrecher JAGD: Kapitalistisches Abenteuerland

Angst vor Fußnoten? Dann besser nicht weiterlesen.

Angst vor Fußnoten? Dann besser nicht weiterlesen. Ohne Anmerkungen geht nämlich gar nichts bei Dominique Manotti. Zum Beispiel „Die ehrenwerte Gesellschaft“ (Aus dem Französischen von Barbara Heber-Schärer. Assoziation A. Berlin, Hamburg 2012. 277 S., 14 €): In Paris wird der Polizist Benoît Soubise ermordet, aber „Polizist“, das ist in Frankreich nicht so einfach. Soubise arbeitet nicht für die Gendarmerie Nationale und auch nicht für die Brigade criminelle, sondern für die RG, die Direction centrale des renseignements géneraux. Fußnote: „... eine berühmt berüchtigte Polizeieinheit, die oft verdächtigt wurde, eine politische (Geheim)-Polizei zu sein und in viele Skandale verwickelt war. Wurde 2008 mit der Direction centrale du renseignement intérieur, dem wichtigsten französischen Inlandsnachrichtendienst, vereinigt.“ Kompliziert? Wird noch besser. Soubise ist von der RG abgestellt worden, um für das Commissariat à l'énergie atomique (CEA), zu arbeiten, die – Achtung, Fußnote! – „oberste Atombehörde Frankreichs.“

Richtig. Das ist kompliziert. Wie immer wenn es um Verbindungen zwischen Politik, Polizei und dem ganz großen Geld geht: Das ist der Stoff, aus dem die Romane dieser Autorin gemacht sind, denn Dominique Manotti, Jahrgang 1942, ist von Haus aus Wirtschaftshistorikerin. „Die ehrenwerte Gesellschaft“ hat sie mit ihrem Kollegen DOA geschrieben. (Fußnote: DOA ist das Pseudonym eines jüngeren Kollegen von Manotti, in Deutschland weitgehend unbekannt.)

Die Geschichte: Ein aufstrebender französischer Politiker der Rechten plant den Ausverkauf der staatlichen Atomindustrie Frankreichs, „die totale Verquickung privatwirtschaftlicher Großunternehmen mit der öffentlichen Hand“. Eigentlich sollte es eine Fernsehserie werden, doch Canal Plus wurde die Sache zu heiß. Absage wegen „künstlerischer Differenzen“ – und Manotti machte aus dem Script gemeinsam mit DOA einen schnellen, schmutzigen Thriller, der sich nahtlos in ihr Gesamtwerk einfügt. Seit Manottis Debüt „Hartes Pflaster“, der die illegalen Arbeitskräfte im Pariser Textilviertel Sentier zum Thema machte, arbeitet sie an einer französischen Korruptions-, Skandal- und Polizeigeschichte im noir-Format.

Manotti hat sich zunächst auf die achtziger und neunziger Jahre beschränkt. In „Das schwarze Korps“ (Aus dem Französischen von Andrea Stephani. Argument Verlag, Hamburg 2012, 280 S., 17,90 €), der zeitgleich mit „Die ehrenwerte Gesellschaft“ auf Deutsch erscheint, widmet sie sich jetzt erstmals dem Paris der deutschen Besatzungszeit. Es geht um Kollaboration auf allen Ebenen, und weil nicht alle dieser Ebenen im öffentlichen Bewusstsein präsent sind, gibt es eine zweiseitige Vorbemerkung „zum historischen Kontext“. Rund 30 000 Franzosen standen 1944 im Dienst der Deutschen, mit Gestapo-Ausweisen und SS-Uniformen, eine Armee aus Antisemiten und Kriminellen. Und sie wird nicht nur für deutsche Interessen eingesetzt. Ein einflussreicher Unternehmer schwärmt an einer Stelle bei einem Glas Champagner davon, wie er mithilfe der SS und ihrer willigen französischen Helfer die Gewerkschaftler aus seinen Fabriken gejagt hat. Er habe, erklärt er wehmütig, „mit einem gewissen Vergnügen kollaboriert.“ Nun, im Juni 1944, stehen alliierte Truppen vor der Stadt – und die ersten Industriellen nehmen Kontakte zu den Amerikanern auf, in der Hoffnung, mit ihnen demnächst genauso Geschäfte machen zu können wie mit den Deutschen. Das besetzte Paris: ein kapitalistisches Abenteuerland. Und brandgefährlich. Die SS versucht, die Finanzelite mit gezielten Verhaftungen wieder auf Linie zu bringen, die französische Gestapo vertickt auf eigene Rechnung Waffen an die Résistance, der gaullistische Widerstand und der US-Geheimdienst buhlen um Bankiers: Geld ist Macht. Und zwischen den Fronten der müde Polizeiinspektor Domecq, der literweise schwarzgehandelten Kaffee trinkt und gerne alles richtig machen würde.

Geht das? Dominique Manotti erlaubt sich trotz ihrer anmerkungsgesättigten Einblicke in ein brutal korruptes System einen Restglauben an die Gerechtigkeit. Als Historikerin müsste sie es besser wissen. Vielleicht schreibt sie darum Krimis.

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