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Kultur: Verdi-Festival: Scalala

Es gibt Vorurteile, die halten sich einfach ewig. Zum Beispiel diese lächerliche Behauptung, Berliner trügen unter ihrer harten Schale einen weichen Kern - entstanden durch einen peinlichen Rechtschreibfehler.

Es gibt Vorurteile, die halten sich einfach ewig. Zum Beispiel diese lächerliche Behauptung, Berliner trügen unter ihrer harten Schale einen weichen Kern - entstanden durch einen peinlichen Rechtschreibfehler. In Wahrheit heißt es nämlich "Schnauze mit Hertz". Wenn es gilt, auf sich aufmerksam zu machen, tönen Hauptstädter lauter, höher, schriller. So wie jetzt in Mailand. Ausgerechnet in Italiens Musikmetropole brüstet sich Berlin mit einem Verdi-Festival, das die lokalen Musiktheater zu Ehren des vor 100 Jahren verstorbenen Komponisten im Januar und Februar veranstalten. Fünf Velo-Taxis mit Werbung für dieses Event kreisen bis zum Jahresende rund um das Teatro alla Scala. Nicht nur der Musikchef des hehrsten Horts der Verdi-Pflege, Maestro Riccardo Muti, dürfte diesen marktschreierischen Angriff auf sein Stammpublikum mit Rührung zur Kenntnis nehmen. Extra über die Alpen jetten, um Verdi zu hören? Da müsste Berlin schon Außergewöhnliches zu bieten haben. Hat es auch, glauben zumindest die Partner für Berlin, aus deren Tasche die Werbeaktion bezahlt wird. Das Sensationelle der hiesigen Verdi-Festtage erschließt sich allerdings nur aus Berliner Innensicht: Zum ersten Mal seit der Wende zeigten sich die Opern der Stadt willens, gemeinsam zu planen und sich tatsächlich auch daran zu halten. Bravo, bravissimo: Ein Flyer für alle drei Häuser, dazu koordinierter Ticket-Verkauf über eine Nummer - für sage und schreibe 35 Verdi-Aufführungen im Zeitraum von sieben Wochen.

Es müssen ja nicht immer Mutis werktreue Interpretationen sein. An der Deutschen Oper zum Beispiel locken Dirigentennamen wie Johan M. Arnell ("Trovatore"), Rolf Gupta ("Traviata") und Ivo Lipanovic("Falstaff" in der Produktion von 1977). Ein Muss für alle, die erleben wollen, was die Opernmetropole Berlin derzeit zu bieten hat, ist natürlich auch der "Don Carlos" an der Komischen Oper, pappiger und ideenloser kann man das Werk auch in der Regie-Diaspora Italien nicht zu sehen. Oder wie wäre es mit Claudio Abbados "Falstaff" an der Staatsoper, diesmal ohne Abbado? Oder soll es vielleicht doch lieber die dritte der Berliner "Falstaff"-Produktionen an der Komischen Oper sein - für Italiener besonders interessant, weil in deutscher Sprache?

Sicher, es gibt auch zwei Neuinszenierungen bei diesen Verdi-Festtagen an der Spree, geschickt im Abstand von 20 Tagen voneinander platziert, damit die Musiktheaterfans richtig lange in der Stadt bleiben und ordentlich Geld in Handel und Gastronomie pumpen können. Das freut dann wieder die Partner für Berlin.

Eines allerdings haben die Berliner bei ihrer Verdi-Feierei den Mailändern voraus: Bei uns gibt es den "Trovatore" inklusive jenes berühmt-berüchtigten hohen C, das Verdi nie komponiert hat und das Muti den Scala-Besuchern jüngst grausam vorenthielt. Dafür, dass der umkämpfte Ton in Berlin so rücksichtslos laut über die Rampe kommt, dass Verdi vermutlich im Grab hochschrecken wird, sorgt ein Stammgast der Deutschen Oper, Kristján Jóhansson, der zweifellos unsensibelste Tenor, der zurzeit auf dem Musikmarkt zu bekommen ist. Wie gesagt: Schnauze mit Hertz.

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