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Kultur: Verehrung verweigert

Berlinale, musikalisch: Das Panorama zeigt Porträts von George Michael und der Band „Mutter“

Man sollte meinen, dass jemand, der Millionen von Platten verkauft hat und vor bis zu 160000 Menschen aufgetreten ist – dass ein solcher Entertainer nicht gegen seine eigenen Interessen zum größten Popstar der neunziger Jahre wird. Und doch sagt George Michael, dass er sich elend dabei fühlte, eine Traumkarriere zu machen. Etwas von dem unsicheren, scheuen Knaben, als der er in einem Londoner Vorort aufwuchs, ist bis heute in dem schwerreichen Sänger lebendig.

So sitzt er in Southan Morris’ Dokumentarporträt George Michael – A different Story etwas unbeholfen in der Ecke eines Sofas und fixiert beim Reden meist einen Punkt irgendwo auf dem Teppich. Der Panorama-Beitrag – neben „Beyond the Sea“, Kevin Spaceys liebevoller Hommage an die Swinglegende Bobby Darin, sowie „Verschwende deine Jugend.doc“ oder dem Rock-Roadmovie „Violent Days“ im Forum eine unter etlichen musikalischen Zeitreisen der Berlinale – ist eine konventionelle biografische Annäherung. Freunde und Mitarbeiter kommen zu Wort, Elton John, Boy George oder Michaels Lebensgefährte Kenny Goss. Ein Mosaik aus Ansichten und Anekdoten, rasant montiert, streckenweise in Form einer Huldigung. Zumal der als Georgios Panayiotou geborene Sohn eines zypriotischen Einwanderers und einer Engländerin die Orte seiner Kindheit aufsucht und etwas gedankenverloren über den Schrecken seines ersten Schultags nachsinnt. Der Aids-Tod seines ersten Partners Anselmo Feleppa und der Krebstod seiner Mutter werden zu Schicksalsschlägen stilisiert,unter denen er jahrelang leidet, unfähig, seine Trauer in Musik zu verwandeln. Sie markieren auch die Zerbrechlichkeit des Pop- Geschöpfs George Michael, der nicht wie Michael Jackson oder Madonna zur Projektionsfläche neurotischer Verehrungsgelüste werden wollte.

Das klingt absurd und ist es auch angesichts der enorm lustvollen Sexualisierung, mit der er den Personenkult lange selbst forciert hat. Alles nur Kulisse? Man lernt einen überraschend weltklugen Künstler kennen, der offen und uneitel über seine Homosexualität redet („Es ist sehr schwer, auf seine Sexualität stolz zu sein, wenn sie einem keine Lust bereitet“). Auch die Verhaftung auf einer öffentlichen Toilette in Los Angeles wird nicht ausgespart. Und wenn er seinem alten Wham-Gefährten Andrew Ridgely nach 20 Jahren erstmals wieder gegenübersitzt, spürt man das leise Bedauern über die Härte, mit der er sich einst von seinem Jugendfreund losriss, um eine Solokarriere zu starten.

Freitag, 22 Uhr 30 (Cinestar); Sonntag, 15.30 Uhr (Colosseum)

* * *

„Mutter“ ist eine jener Bands, die Experten zu ihren Lieblingen zählen, sonst aber kaum jemand kennt. Das ist „Mutter“ egal, die Band ist Weltmeister in der kühlen Abwehr von Vereinnahmungsversuchen. „Mutter“ verwandeln kleine Clubs mit ihrem brachialen Noiserock in wahre Geräuschhöllen und vergraulen dann die Fans mit sanftem Liedgut. Sie begleiten Stummfilmpornos und bringen eine zweistündige Version von John Lennons „Imagine“ zum Vortrag. Wenn die Jungregisseurin Antonia Ganz sie in ihrem sehr treffend benannten Porträt Wir waren niemals hier mit der Kamera begleitet, erfährt man weder, wie sie das tun, noch, warum sie das tun. Man schaut ihnen einfach zu und hört sich ihre trockenen Kommentare an.

Es sind Momente von allerhöchster Komik dabei. Doch den meisten Zuschauern dürfte angesichts dieses Panorama-Beitrags frösteln. Denn es herrscht eine eigentümliche Kälte zwischen diesen Herren, die offenbar nichts verbindet, als dass sie ab und an gemeinsam musizieren. „Das ist Blues und braucht keine Ordnung, du Arschloch.“ Sehr viel mehr ist an Reibungsenergie nicht zu beobachten. Am Ende verkündet Gitarrist Frank Behnke vor laufender Kamera seinen Austritt aus der Band. Die Jungs von „Mutter“ haben darauf nichts zu sagen. Als wären sie nicht dort gewesen. Sebastian Handke

Freitag, 17 Uhr (Cinestar 7); Sonntag, 14.30 Uhr (Cinestar 7)

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