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© AFP

Vereinigte Staaten: Vorsicht, Freund: Amerikas knallharte Außenpolitik

Nach den bisherigen amerikanischen Vorwahlen wissen wir immer noch nicht wissen, wer der Präsidentschaftskandidat der Demokraten sein wird. Vermutlich will alle Welt aber noch viel dringlicher wissen, wie sehr sich der nächste Präsident von Bush unterscheidet.

„Ich warte auf die Rückkehr der wahren Amerikaner", sagtet John le Carre. Unter „wahren“ Amerikanern versteht man gern jene, die Europa nach dem Krieg wieder aufgebaut haben. Ihre Außenpolitik galt als die Regel. Aber eine US-Politik, wie sie sich in Nachkriegs-Europa brillant bewährte, war nie die Regel. Weite Teile der übrigen Welt kennen ein anderes Amerika, unter beiden Parteien. Was die künftige US-Außenpolitik angeht, sollte sich Deutschland von der Erinnerung an seine komfortable Lage nach 1945 nicht irreführen lassen. Sie war die Ausnahme. Bushs Vorgehen in Irak, Iran oder Zentralasien ist es weniger.

Amerikas Ziele nach dem Zweiten Weltkrieg bestanden darin, Europa zu stabilisieren, die Sowjets auszubremsen und Konsumenten für US-Produkte zu gewinnen. Die Förderung einer einheitlichen, liberalen Wirtschaft war da hilfreich. Vernetzte liberale Ökonomien in Europa verringerten die Kriegsgefahr, konnten eine Pufferzone gegen die Sowjets schaffen und brauchten amerikanische Waren. „Man muss sich nach anderen Märkten umschauen, und die liegen im Ausland“, sagte 1947 Außenminister Dean Acheson (ein Demokrat) und reagierte so auf die Furcht vor Handelsüberschüssen und einer Depression. Europa bot sich an, weil die Märkte der Vorkriegszeit dort rasch wieder aufgebaut werden konnten.

Der Weg dorthin war nicht gerade bequem. So sagte Wirtschafts-Staatssekretär Michael Clayton (ein Demokrat): „Wir werden die mächtige Waffe der Einstellung von Hilfsleistungen zücken, wenn … ein Land unseren Erwartungen nicht entsprechen sollte.“ 14 Jahre später wiederholte Kennedy (ein Demokrat): „Auslandshilfe ist ein Mittel, mit dem Amerika weltweit Einfluss nehmen und Kontrolle ausüben kann.“

Unmittelbar nach dem Krieg kündigten die USA eine Kreditvereinbarung mit Großbritannien, ihrem engsten Alliierten, auf. Das Land musste die Zahlungen unter Bedingungen leisten, die ein britischer Parlamentarier unser „ökonomisches München“ nannte. Die USA finanzierten außerdem Banden, um legalen kommunistischen Parteien in Europa das Handwerk zu legen. 1947 wurden Frankreich und Italien aufgefordert, kommunistische Minister zu entlassen, andernfalls drohte man mit dem Stopp von Lebensmittellieferungen. Die von der CIA und der Nato unterstützten verdeckten Armeen der „Operation Gladio“ gingen mit Bombengewalt oder mit Sabotageakten gegen kommunistische und gelegentlich auch sozialistische Parteien vor – was erst 1990 von der EU verurteilt wurde.

Das war starker Tobak für die Alliierten, aber es funktionierte. Von 1950 bis 1965 wurden die US-Exporte nach Europa mehr als verdreifacht, die direkten Privatinvestitionen stiegen von zwei Milliarden auf rund 14 Milliarden Dollar. Westeuropa baute Demokratien und Industrienationen auf und wurde fast umsonst verteidigt, im Gegenzug hatten die USA Verbündete und Konsumenten. Es funktionierte allerdings nur, weil es in Europa schon vor dem Krieg liberale Industriemärkte und eine der Aufklärung verpflichtete politische Tradition gab. In den Entwicklungsländern fand die US-Außenpolitik andere Bedingungen vor, weshalb sie sich dort auch anders gestaltete.

Wie in Europa wollte Amerika auch dort den Weg zu einer liberalen Weltwirtschaft ebnen. Auf diese Weise könnte es sich Zugang zu Märkten und Rohstoffen verschaffen, die Entwicklungsnationen könnten von den Bereicherungspotentialen des Kapitalismus profitieren und nicht sofort, aber mit der Zeit zum politischen Liberalismus hingeführt werden. Soweit der Plan. Aber von der Liberalisierung der Märkte profitierten oft nur die Eliten und die Liberalisierung der Politik blieb aus – in Singapur, Malaysia, Spanien sowie in großen Teilen Lateinamerikas und Afrikas. Auch die asiatischen Tigerstaaten Taiwan and Südkorea wurden bis in die neunziger Jahre von Diktatoren regiert.

Dennoch strebte Amerika weiter nach weltweitem Liberalismus und begriff nicht, warum die Saat nicht überall aufging. Krieg und verdeckte Operationen galten als Rettungsaktionen, mit denen Entwicklungsländer vom Illiberalismus (dem Kommunismus) bewahrt werden sollten. Amerika unterstützte seine „Bastarde“ (Henry Kissinger), wenn diese ihrerseits Amerika erlaubten, ihre Wirtschaft zu liberalisieren. Es stürzte demokratisch gewählte Regierungen, wenn diese mit Landreform, Verstaatlichung oder dem Erzkommunismus liebäugelten. „Es gab keine ausgearbeitete Analyse“, schrieb der Historiker Melvyn Leffler, „die sich mit den Perspektiven einer Spaltung des kommunistischen Lagers beschäftigte.“

Truman (ein Demokrat) betrachtete sogar die Rekolonialisierung Indochinas durch die Franzosen mit Wohlwollen; nur so lasse sich die Region ins Netzwerk liberaler Marktwirtschaften eingliedern. Unfähig zu der Einsicht, dass ein freies, sozialistisches Indochina der amerikanischen Wirtschaft Konsumenten bescheren und als Schutzwall gegen die Kommunisten dienen könnte, ignorierte Truman acht Briefe von Ho Tschi-Minh, in denen dieser darum bat, den Status der Region durch die UN klären zu lassen. Kennedy und Johnson (beide Demokraten) ließen den Krieg eskalieren, der Vietnam, Kambodscha, Laos und Thailand verwüstete.

Auch 1951 mangelte es an Analyse. Als British Petroleum dem Iran nicht den gleichen Preis wie anderen Ölproduzenten bezahlen wollte, unterstützte Washington BP und stürzte den demokratisch gewählten Premierminister Mohammad Mossadegh. Obwohl die Sowjets Ende des Zweiten Weltkriegs in den Iran einrückten (und wieder abzogen), war Mossadegh keine Marionette der UdSSR. Er hatte erst sowjetische Hilfe akzeptiert, nachdem internationale Ölfirmen sein Land boykottiert und die USA ihre Hilfsprogramme eingestellt hatten. Die 25-jährige, modernisierend-repressive Diktatur des US-gestützten Schahs Pahlavi legte den Grundstein für Ajatollah Chomeinis islamische Revolution von 1979. Als Amerika das iranische Öl verloren hatte, unterstützte es das diktatorische Baath-Regime des Irak gegen die islamische Diktatur des Iran, bis Baath-Diktator Saddam 1991 zur Gefahr für die islamischen Diktaturen der Golfstaaten wurde.

Die Liste von Analysefehlern ist lang. Vielleicht sind es auch keine Fehler, sondern eher Blindheiten, die aus der Annahme resultieren, dass der Liberalismus amerikanischer Prägung jederzeit das Beste für alle ist, so wie er für Amerika nach einer langen ökonomischen und politischen Entwicklung das Beste war.

Es gibt noch mehr Beispiele: In Zentralasien unterstützte Carter (ein Demokrat) die Mudschaheddin nicht erst nach der sowjetischen Invasion, sondern schon davor, um die Sowjets in die Falle zu locken und ihnen „ihr Vietnam“ zu bereiten, wie es Carters Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski formulierte. „Diese Geheimoperation war eine ausgezeichnete Idee. Sie lockte die Russen in die afghanische Falle, und das soll ich bereuen?“, fragte Brzezinski 1998. Nach zehn Jahren Krieg zogen sich die Sowjets zurück, und die USA ließen Afghanistan mangels ökonomischer oder politischer Interessen fallen.

Kennedy (ein Demokrat) intervenierte gegen den demokratisch gewählten Kongolesen Patrice Lumumba, aus Sorge, der Westen könnte den Zugang zur ressourcenreichen Katanga-Provinz verlieren. Er inszenierte die idiotische Invasion in der kubanischen Schweinebucht, die die Welt ein Jahr später an den Rand eines Atomkriegs brachte. Johnson (ein Demokrat) wandte sich gegen den indonesischen Staatschef Sukarno, wegen mangelnder Solidarität im Kalten Krieg, unterstützte das Blutbad Suhartos und Jahrzehnte der Diktatur. Die Regierung Clinton nannte Suharto, in Bezug auf seine Wirtschaftspolitik, „unseren Mann“.

Vieles von dem, was heute im Irak geschieht, findet sich in diesen alten, von beiden US-Parteien geprägten Mustern wieder: Folter, geheimdienstliche Verzerrung, der optimistische Glaube, dass florierende Märkte und Demokratie folgen, sobald die Gewalt vorbei ist. Eine radikale Abkehr von diesen Mustern nach der nächsten Wahl ist unwahrscheinlich. Es gibt Spielraum, aber man sollte ihn realistisch einschätzen. Alle Kandidaten streben im Iran Sanktionen und einen Regimewechsel an. Im Irak sind alle mit der Entscheidung konfrontiert, zu bleiben und vielleicht Gewalt zu provozieren oder das Land fallen zu lassen – also wie 1969 in Vietnam vorzugehen oder wie 1989 in Afghanistan.

Mag sein, dass ein Hegemon mit liberalen Idealen besser ist als einer ohne. Aber unter diesen Idealen hat sich das Muster amerikanischer Außenpolitik herausgebildet. Sie sind es, die das amerikanische Weltbild bestimmen – und Weltbilder bestimmen die Grenzen des Möglichen.

Marcia Pally lehrt Soziologie an der New York University. Ihr Essay, übersetzt von Jens Mühling und Christiane Peitz, basiert auf den Thesen ihres Buchs „Warnung vor dem Freunde: Tradition und Zukunft amerikanischer Außenpolitik“, das dieser Tage im Parthas Verlag erscheint (aus dem Englischen von Michael Haupt, 200 S., 19,80 €).

Marcia Pally

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