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Kultur: Verheile doch ...

Wiederbelebungversuch: Busonis „Doktor Faust“ an der Staatsoper Berlin

Eigentlich würde man Kirsten Harms und Peter Mussbach gerne einmal aus vollem Herzen loben. Denn die Tapferkeit, mit der die Intendanten der beiden großen Berliner Opernhäuser allen Sparzwängen zum Trotz immer wieder auf unbekannte und unbequeme Werke des Musiktheaters setzen, ist schon beeindruckend. Franchettis „Germania“, Verdis nicht eben populärer „Boccanegra“ und Donizettis Belcanto-Rarität „Maria Stuarda“ – allein aus der Liste der ersten Premieren dieser Spielzeit spricht ein unbeirrbares, offenbar durch kein schnödes Zahlenwerk zu erschütterndes Grundvertrauen auf die Neugier des Publikums.

Auch Ferruccio Busonis „Doktor Faust“ an der Lindenoper reiht sich würdig in diese Liste sperriger und verkannter Werke ein. Seit der Uraufführung vor achtzig Jahren traut sich nur alle paar Jahre mal ein Opernhaus an das Opus summum des genialischen Deutschitalieners heran – als spröde verschrien, gehört der Dreieinhalbstünder ebenso wie „Germania“, „Boccanegra“ und „Stuarda“ jedenfalls zu den Stücken, die auf besonders engagierte szenische Interpreten angewiesen sind, um Wirkungskraft zu entfalten.

Womit einem das Lob leider auch schon wieder im Halse stecken bleibt. Denn nicht anders als die beiden letzten Premierenpleiten an der Deutschen Oper scheitert auch bei diesem „Faustus“ der Wiederbelebungsversuch schlechtweg daran, dass die Regie nicht vermitteln kann, was dieses Stück heute überhaupt noch zu sagen hätte. Zustande kam die Produktion ohnehin unter eher unglücklichen Umständen: Nachdem der ursprünglich vorgesehene Stefan Bachmann im Frühjahr die Regie zurückgegeben hatte, entschloss sich Staatsopern-Intendant Mussbach, seine bereits sieben Jahre alte Salzburger Produktion für Berlin zu exhumieren. Sein Faust schleppt sich, von Anfang an schwer an der Last der Welt tragend, durch die symbolbeladenen Bühnenbilder Erich Wonders mit ihren schwer an Kunstkalenderkitsch erinnernden gemalten Kulissen. Dabei begegnet er etlichen Klonen in Fräcken, Trenchcoats oder Commedia-dell’ArteKostümen (Andrea Schmidt-Futterer), wie in so vielen Mussbach-Produktionen, mit denen das Repertoire der Lindenoper mittlerweile reichlich gesegnet ist.

Alles dekorativ arrangiert in mittlerweile etwas abgehangenem Neunziger-Jahre-Schick, aber doch nichts, was einem den von Busoni eigenwillig auf der Grundlage des mittelalterlichen Puppenspiels umgedeuteten Faust-Konflikt irgendwie näher brächte. Seltsam bedeutungslos bleiben Faust und sein Alter Ego Mephisto. Völlig ungenutzt lässt Mussbach die Chance, aus dieser autobiografisch eingefärbten Künstleroper das Bewusstsein einer zu Ende gehenden Epoche, die Sehnsucht nach einer neuen Kunstsprache und neuen Idealen zu destillieren. Denn interessant wäre dieser Busoni-„Faust“ gerade in seiner Zwiespältigkeit: In seinem Versuch, der verbrauchten Tonsprache und dem Opernbegriff des 19. Jahrhunderts etwas Neues entgegenzusetzen, ohne radikal mit dieser Tradition brechen zu können.

Doch auch Daniel Barenboim, dem die Musik Busonis nach eigener Aussage ein Herzensanliegen ist, tut sich schwer damit, für diese melodisch nicht besonders expressive, dafür jedoch oft atmosphärisch schillernde Musik einen eigenen Tonfall zu finden. Schön, schwelgerisch-satt und farbkräftig klingt der Busoni-Klang, den Barenboim aus seiner Staatskapelle herauskitzelt, aber doch ohne jene Härten und Querstände, die Busonis Distanz zum Wagner’schen Erbe fühlbar gemacht hätten. Der Staatskapellen-Chef dirigiert eine Musik, die mit sich im Reinen ist und sich in der Bewusstwerdung der eigenen Emotionen erschöpft – vorausweisend, wie „Luft von einem anderen Planeten“ (Hans Mayer) klingt sie nicht.

Barenboims selbstbewusstes Ausspielen aller Farbreize macht es den Sängern nicht gerade leicht dagegenzuhalten. Ohnehin ist diese Produktion, gemessen am Standard der Staatsoper, überraschend schwach besetzt: Hausbariton Roman Trekel ist ein skrupulöser Sänger und als intellektueller Schmerzensmann sogar einigermaßen glaubwürdig, die heldischen Töne, die er für diese Partie braucht, hat er jedoch (noch) nicht in der Kehle – über weite Strecken kaum hörbar, kann er erst im gedämpften Schlussmonolog die Vorteile seiner liedgeschulten Stimme ausspielen und seinem Gesang Farben geben. Auch der Mephisto von Jürgen Müller kämpft mit den Höhen seiner Partie und kann dem Teufel weder Gewitztheit noch Dämonie mit auf den Weg geben. Die zahlreichen kleineren Rollen künden von Repertoirealltag, nicht aber von Premierenglanz. „Musik steht dem Gemeinen abgewandt; (...) das Wunder ist ihr Heimatland“, schrieb Busoni übrigens in der Vorrede zu seinem „Faust“. Wäre schön, wenn endlich mal wieder ein Wunder geschehen würde.

Wieder am 6., 9., 12. u. 15. 12.

Jörg Königsdorf

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