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Kultur: Verliebt in verwundete Städte

Der libanesische Autor Elias Khoury eröffnet eine Debattenreihe im Haus der Kulturen. Ein Porträt

Elias Khoury sitzt im Zeitschriftenzimmer des Wissenschaftskollegs. Heil und gediegen wirkt die Welt in der herrschaftlichen Villa. „Berlin ist so grün und fast menschenleer im Vergleich zu Beirut“, sagt der 63-jährige Schriftsteller mit dem schlohweißen Haar und der großen Brille. Khoury, einer der führenden Intellektuellen Libanons, sieht zwar nur noch mit einem beweglichen und wachen Auge, dennoch hat er einen genauen Blick für die Wunden von Städten und Menschen; für die verschütteten Geschichten, die das Leben der nachfolgenden Generationen bestimmen. Nicht nur Beirut, auch Berlin ist für ihn eine „verwundete Stadt“.

Als er die ersten Male im nahe gelegenen Bahnhof Grunewald in die S-Bahn stieg, empfand er regelrecht Schmerzen. „Tausende Menschen wurden von hier in Vernichtungslager gefahren“, sagt Khoury, vom Englischen ins Französische und Arabische wechselnd. Spannend findet er Kreuzberg mit seinen türkischen und arabischen Bewohnern und die Mühen, die Deutschland mit seiner neuen Identität als Einwanderungsland hat. Das sei so anders als in Beirut, einer relativ jungen Stadt, die seit dem 19. Jahrhundert von verschiedenen Flüchtlingswellen – aus den Bergen, aus Syrien und aus Palästina – bevölkert wurde und in der „alle Menschen Fremde sind“.

„Identität ist ein falsches Problem“, lautet die Erkenntnis Khourys, der griechisch-orthodoxer Herkunft und im christlichen Osten Beiruts aufgewachsen ist und die Kulturbeilage der Tageszeitung „An-Nahar“ leitet. Jeder Mensch habe verschiedene Identitäten. So hat sich der Libanese Khoury nach dem Krieg von 1967 eine neue Identität zugelegt, als er sich der palästinensischen Befreiungsbewegung Fatah im Libanon anschloss und bis 1976 im Widerstand aktiv war. „Das war kein politischer Impuls, sondern ein humanistischer, als ich das Elend und die Demütigung der Menschen in den palästinensischen Flüchtlingslagern kennengelernt habe.“ 1998 dann hat Khoury eines der großen literarischen Werke über die Flucht und die Vertreibung der Palästinenser veröffentlicht: „Bab el-Shams“, „Tor zur Sonne“.

Auch in seinem nun auf Deutsch erschienenen Roman „Yalo“, der auf der Shortlist zum Internationalen Literaturpreis des Hauses der Kulturen der Welt steht, taucht Khoury tief ein in die Geschichte der Region und die damit verwobene Familiengeschichte des 31-jährigen Protagonisten. Yalo, der aus einer christlich-aramäischen Familie stammt, schließt sich im libanesischen Bürgerkrieg einer Miliz an. Später überfällt er auf den Hügeln vor Beirut Liebespaare und raubt und vergewaltigt die Frauen. In eines seiner Opfer, Shirin, verliebt er sich, bis sie ihn anzeigt. Yalo landet im Gefängnis, er wird brutal gefoltert. Man zwingt ihn, ein Geständnis und seine Lebensgeschichte zu schreiben. Heraus kommen immer neue Versionen, in denen er der Geschichte seiner Mutter und seines Großvaters auf den Grund geht. „Es ist ein Roman über Liebe und Gewalt und über das Schreiben“, sagt Khoury. Die Bandbreite der Gefühle ist groß: hier Yalos haltlose Liebe zu Shirin, dort die kaum zu ertragenden Folterszenen.

Yalo ist Täter – und zugleich Opfer seiner Liebe zu Shirin. Der moralisch verrohte Mann wird zunehmend menschlicher. „Wir sind Freunde geworden und ich werde ihn abholen, wenn er aus dem Gefängnis kommt“, sagt Khoury über seine Hauptfigur. Einen politischen Roman will er darin aber nicht sehen. „Literatur interessiert sich nicht für die Politik, sondern will einer so unsinnigen Sache wie dem Leben Sinn geben.“

Auf die Umbrüche in der arabischen Welt aber kommt er begeistert zu sprechen. Wie viele Intellektuelle und Oppositionelle der über 60-Jährigen fühlt Khoury sich wie beflügelt, dass die angeblich unpolitische Jugend erreicht hat, was seine Generation nicht vermochte. „Wir sind glücklich, wir feiern die Versöhnung unserer Region mit ihrer Geschichte und dem 21. Jahrhundert.“ Mit den Aufständen knüpfe man an eigene demokratische Traditionen wieder an, wie die der Wafd-Partei in Ägypten. Allerdings befreie man sich von der „idiotischen Ideologie des engstirnigen arabischen Nationalismus“ und akzeptiere die Diversität arabischer Gesellschaften.

Während die Terrorangriffe von 2001 für Khoury Auswüchse des Kalten Krieges waren, in dem die USA gemeinsam mit Saudi-Arabien den islamischen Fundamentalismus erst zum Leben erweckt hätten, sieht er nun die Chance für eine Versöhnung des Westens mit der arabisch-islamischen Welt. Allerdings hänge das davon ab, ob der Westen eine „rationale“ Position im Palästina-Konflikt beziehen und seine Beziehung zu den autoritären Öl-Staaten überdenken werde.

Elias Khoury: Yalo. Roman. Aus dem Arabischen von Leila Chammaa. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 378 S., 24,90 €. – An diesem Sonnabend, den 28. 5., hält Khoury um 15.30 Uhr im Berliner Haus der Kulturen der Welt den Einführungsvortrag zur zweitägigen Debattenveranstaltung „Politik, Sprache, Bilder im 21. Jahrhundert“. Sein Thema: „From 9/11 to 2/11 – A decade of misunderstanding“. Infos: www.hkw.de

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