zum Hauptinhalt

Kultur: Vernichtender Zusammenstoß der Sterne Bürger, Christ, Selbstmörder: zum hundertsten Geburtstag des Journalisten und Schriftstellers Jochen Klepper

Der Widerstand gegen Hitler wächst täglich: Die retrospektive Korrektur der Vergangenheit schreitet voran. Sophie Scholl, die mutige Studentin der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, wurde zum 60.

Der Widerstand gegen Hitler wächst täglich: Die retrospektive Korrektur der Vergangenheit schreitet voran. Sophie Scholl, die mutige Studentin der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, wurde zum 60. Jahrestag ihrer Hinrichtung am 22. Februar in die Walhalla, das deutsche Helden-Pantheon bei Regensburg, aufgenommen. Dagegen wäre Paul von Hindenburg, der als Galionsfigur des „Tages von Potsdam“ am 21. März 1933 die Vereinnahmung preußischer Tradition durch den Nationalsozialismus unterstützte, jüngst um ein Haar seiner Berliner Ehrenbürgerschaft verlustig gegangen; wie einst Hitler selbst und sein Innenminister Wilhelm Frick, der – nach seiner Hinrichtung im Jahr 1946 – von dieser Liste entfernt worden war. Der volkspädagogische Trend geht zur eindeutigen Erinnerung. Jochen Klepper, dem am 22. März vor 100 Jahren geborenen Journalisten und Schriftsteller, bleibt solche Heldenverehrung bislang erspart. Zu zerrissen stellt sich den Nachgeborenen seine innere Geschichte dar. Und doch fällt es schwer, sie nicht von ihrem Ende her zu lesen.

Am 9.Dezember 1942 wird Kleppers Frau Hanni zur schwedischen Botschaft in Berlin bestellt, um für einen Visumsantrag Personalien anzugeben. Am Abend schreibt ihr Mann in sein Tagebuch: „Nachmittags war ich bei Eichmann vom Sicherheitsdienst.“ Dort war es um seine 20-jährige Stieftochter Renate gegangen, die bereits ihr schwedisches Visum erhalten hat. „Eine gemeinsame Ausreise würde nicht gestattet“, sagt Eichmann. Und: „Ich habe noch nicht mein endgültiges Ja gesagt.“ Kleppers Frau, die sich 1938, und Renate, die sich 1940 hat taufen lassen, gelten nach NS-Gesetzen als jüdisch. „Betrachtet man Hanni als Geisel für Reni?“, notiert Klepper. „Würde man Hanni als meiner Frau verweigern, was man Renerle als meiner Stieftochter vielleicht zugesteht?“ Er hat die letzten Monate, Jahre in wachsender Angst um seine Familie verbracht. Jede Tagebuch-Notiz begann mit einer Bibellosung. „Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden“, lautet, an diesem Tag, das letzte Zitat. Es folgt der Eintrag vom 10. Dezember: „Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott – Wir gehen heute Nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.“

Über den Freitod hat der schlesische Pfarrerssohn Klepper schon in den ersten Jahren seines seit 1932 geführten Tagebuchs reflektiert; im Familiengespräch, schließlich als gemeinsamer finaler Plan taucht das Thema wieder auf. Todessehnsucht ist dem nach Ansicht seiner Ausbilder fürs Pfarramt ungeeigneten asthmatischen Theologen vertraut, aus seinen Jugendtagen in Beuthen, aus der Studienzeit in Breslau und Erlangen. Der Konflikt zwischen literarischer Neigung und religiöser Berufung peinigt ihn. In schweren Nervenkrisen findet er Halt bei der zehn Jahre älteren Witwe Hanni Stein. Er heiratet sie, bricht mit dem Elternhaus.

Hanni und ihre zwei Töchter ziehen mit Klepper nach Berlin. Der glühende Preuße und kirchenkritische Lutheraner verlässt 1932 die SPD. Als „jüdisch Versippter“ verliert er seine Stellung beim Rundfunk und im Ullstein-Verlag. Verhandlungen mit der Ufa über einen Plot zum Leben des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. bricht er, künstlerisch kompromisslos, ab. „Der Vater“, sein Roman über die Leiden dieses von der Nachwelt verkannten, frommen, künstlerischen und rigiden Monarchen, wird im „Dritten Reich“ zum Bestseller. Von der Reichsschrifttumskammer wird Klepper erst aufgenommen, dann ausgeschlossen; er erhält eine Interims-, später eine Sondergenehmigung, führt zermürbende Gespräche mit dem Propagandaministerium. Für die Tobis-Film schreibt er drei Treatments. Den Innenminister Frick, einen Fan seines „Vater“- Buches, bittet er um Hilfe für seine Stieftochter. Viele Beamte begegnen ihm als Wohlmeinende, die das Schlimmste verhindern wollen. Die älteste Stieftochter Brigitte gelangt vor Kriegsbeginn nach England. Klepper, der loyale Preuße, bricht nicht mit der Obrigkeit. Er betet um Hitlers Bekehrung. Hofft auf deutsche Siege. Traut, immer wieder doch, der Propaganda. Wird wegen seiner Ehe aus der Wehrmacht entlassen, nach dem Einsatz an der Ostfront. Panische Sorgen um den Beruf, vor allem, zunehmend, um Frau und Stieftochter, bedrängen seinen Patriotismus. Renates Zwangsarbeitskolleginnen wurden bereits deportiert. Von der Euthanasie und von Massenerschießungen im Osten ist die Rede.

In seinen Eintragungen analysiert Klepper die persönliche Heimatsuche nach dem „ewigen Haus“ wie auch seine „Überzeugung von der nie zähmbaren, alles durchgreifenden Macht menschlicher Lasterhaftigkeit... Der Abgrund im Menschen war einer meiner elementarsten Erfahrungen.“ Er träumt von Verschüttungen in Sandgruben und Messerstichen, Verbrennungen, von quälenden Tieren und Unterredungen mit Hitler; vom Verlassen der toten Eltern inmitten einer Schlacht, zugunsten lebender Verwundeter; von Verfolgung und Flucht, „von einem vernichtenden Zusammenstoß der Sterne". Zur Zuflucht wird ihm sein schönes Heim mit dem „Barockzimmer“ in Berlin-Nikolassee und die Feier des Kirchenjahres. Anfang Dezember 1942 kauft er für seine Frau einen gotischen „Segnenden Christus“ als Weihnachtsgeschenk.

Bestürzend liest sich Kleppers im Jahr 2002 gekürzt aufgelegtes, in der Erstausgabe (DVA, 1956) noch 1120-seitiges Tagebuch: die tragische Chronik einer gehorsamen Dissidenz, das Psychogramm einer ideologischen Zerreißprobe. Dem Obrigkeitsgläubigen zerbricht in der Erfahrung seines „jüdischen Schicksals“ (J.K.) die Weltordnung – ersatzlos. Sein unauffälliges Heldentum besteht in der Wahl des eigenen Weges gegen die elterliche Vorgabe, in der Treue zu den ihm Anvertrauten, im aufrechten Gang beim gleichzeitigen Verlust aller politischen Orientierung. Als Identifikationsfigur taugt dieser Intellektuelle, der für sich, Hanni und Renate in der Nacht zum 11. Dezember 1942 den Gashahn aufdrehte, nur bedingt. Religiösen Moralisten geht sein Suizid, Antifaschisten seine Staatstreue gegen den Strich. Und für den Mainstream des Erinnerungsbetriebes spielt die mit Kleppers Vita verbundene Passion der getauften Juden keine Rolle. Er ist eine Gegenfigur – zu Heinz Rühmann, der seine Karriere durch Scheidung von der jüdischen Gattin beförderte. Und erscheint als ohnmächtige Kontrastgestalt zu einem anderen Preußen, Paul von Hindenburg, dem Reichspräsidenten der Machtergreifung.

Unter den sechs Liedern des Dichters, die das Evangelische Gesangbuch übernahm, klingt seine dialektische Adventshymne „Die Nacht ist vorgedrungen“ am wortmächtigsten. „Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt“, schrieb der gläubige Lyriker. „Als wollte er belohnen, so richtet er die Welt.“ Der Bürger, Christ und Selbstmörder mit dem kindlichen Milchgesicht bezeugt die Umwälzungen eines Zeitalters, in dem das System bürgerlicher Verantwortung scheitert – und die Menschenverachtung der neuen Weltordner sichtbar wird. Seine ultima ratio ist die Hoffnung der Verzweiflung.

„Der Vater“ erschien zuletzt bei dtv, das Tagebuch „Unter dem Schatten deiner Flügel“ hat der Brunnen-Verlag neu aufgelegt. – Eine Klepper-Ausstellung eröffnet am 22.3., 18 Uhr, in der Berliner Martin-Luther-Gedächtniskirche. Weitere Termine: www.ev-kirchengemeinde-mariendorf.de/klepper.htm

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false