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In den Süden gefahren, Ideen gekriegt. Bilderbuch vor der Kulisse der kroatischen Stadt, in der sie an neuen Songs gearbeitet haben.

© Neven Allgeier

"Vernissage My Heart" von Bilderbuch: Die Kunst der Gefühle

Bilderbuch bringen innerhalb weniger Wochen zwei Alben heraus. Mit „Vernissage My Heart“ beschreibt die Band die Sehnsüchte im digitalen Raum

Man habe „das Ungeheuer schon kommen hören“, sagt Maurice Ernst. Der Sänger der österreichischen Band Bilderbuch meint ein Monster ohne Zähne und Klauen, das sie trotzdem verletzen konnte. Waren die vier Musiker doch einer großen Sache auf der Spur, in wenigen Monaten waren 17 Songs entstanden. Die drohten sie jetzt zu zermalmen, denn nicht nur beanspruchte jeder einzelne seinen Platz. Schwerer wog, dass sie nicht zueinander passten.

Eine Hälfte klang deprimiert, lethargisch, taub und gefühllos sich selbst gegenüber.

Die andere dagegen versprühte den Esprit, den Popsongs haben sollten, quoll über vor Begeisterung.

Die Band hätte die schwächere Hälfte wegschmeißen können. Aber sie gehörte ja dazu zur „digital tristesse“, wie Maurice Ernst das Lebensgefühl der Smartphone-Generation nennt, das Bilderbuch nun schon vier Alben lang umtreibt. In ihr sind Euphorie und Depression nur einen Klick voneinander entfernt. Was tun?

Kaum jemand nimmt Alben als Erzählform noch ernst. Was von ihnen übrig bleibt, diffundiert in kleinen Dosen in die Playlists der Streamingdienste. Doch Bilderbuch wollen ihre Musik nicht von einem Algorithmus zerfledert wissen, als Musiker, sagen sie, hätten sie ein Recht auf ihre eigene Playlist. Die Menschen würden sich auch Serien in Gänze reinziehen. Warum nicht also auch Songs, die durch Motive, Stimmungen und Bezüge miteinander verbunden sind? Die Band hätte also verzweifeln können an der Unmöglichkeit, eine Einheit zu schaffen.

Superstar. Maurice Ernst, Sänger von Bilderbuch
Superstar. Maurice Ernst, Sänger von Bilderbuch

© Neven Allgeier

Ihre Antwort lautete: zwei Alben. „Mea Culpa“ machte im Dezember den Auftakt als post-hedonistische Ausnüchterung. „Angeschossen und ok / Ist die Art, wie ich jetzt fühle“, sagte sich der Sänger auf der Rückbank eines Taxis wegschlummernd, das ihn von der Party nach Hause fuhr. Die Musik dazu war wie blockiert, blieb wie verschüttet unter Pillen und Drinks. „Bis dato / zieht sich dein Leben“, hieß es, „grau wie Rauch / Schmutzig schön aber nur ein Hauch.“ Das höchste an Glückseligkeit war ein Besuch im Megaplex-Kino: „Alles gesehen und ein Gefühl von nix.“

Nun erscheint mit „Vernissage My Heart“ der zweite Teil. Nicht, dass die Party jetzt wieder von vorne losginge. Aber vom ersten Ton an wird eine Sehnsucht formuliert, die himmelwärts zu streben scheint und in ihrer funkelnden, mitreißenden Grandezza um den Ausruf kreist: „Wuhh – ich habe Gefühle“.  

"Wir wollen fliegen"

Hätte man auch nicht gedacht, dass ein derart simpler Satz ein paar Kerle Anfang Dreißig so ausflippen lassen könnte. Es ist offenbar eine erschreckende Erkenntnis geworden, ein Herz zu besitzen. Entsprechend lustvoll schraubt sich Michael Krammers Seventies-Gitarre in die schroffen Gefilde des Soul. „Zeig mir, wo der Lift ist / Wir wollen fliegen im superspeed / Spaceship“, singt Maurice Ernst in seinem unnachahmlichen Idiom aus Linzer Dialekt und englischem Cool-Sprech. Der Futurismus transportiert hier die Erwartung, dass es noch etwas anderes geben muss, als vergnügliche Zerstreuungen im Datensturm. Um nicht Utopie sagen zu müssen.

Aber um weniger geht es nicht. Pop kann Entfremdung in totale Hingabe verwandeln – und Bilderbuch sind Meister darin. Seit sich die Band 2005 in Kremsmünster bei Linz aus pubertierenden Schülern formierte, hat sie sich in mehreren Häutingen in ein kreatives Kraftwerk entwickelt. Zuerst noch sehr auf Vorbilder wie Bowie und Prinz fixiert, sind die Referenzen immer vager geworden. Längst gelten sie mit ihrem undurchdringlichen Stilmix und ihrem windigen Sexappeal als würdige Nachfolger Falcos.

Da muss es mehr geben. Schlagzeuger Philipp Scheibl, Gitarrist Michael Kramer, Sänger Maurice Ernst und am Bass Peter Horazdovsky suchen das Utopische im digitalen Raum.
Da muss es mehr geben. Schlagzeuger Philipp Scheibl, Gitarrist Michael Kramer, Sänger Maurice Ernst und am Bass Peter Horazdovsky suchen das Utopische im digitalen Raum.

© Neven Allgeier

Im vergangenen Jahr bezog das Quartett in Wien eine Arbeitswohnung, um noch intensiver und konzentrierter zu Werke zu gehen. Ernst und Krammer sowie Peter Horazdovsky an Bass und Keyboards und Schlagzeuger Philipp Scheibl wollten sich nicht ständig verabreden müssen, wie, wann und wo man sich für den nächsten Arbeitsschritt treffen würde. Es sollte einen Ort geben, an dem sie sich sowieso ständig aufhalten wollten. Denn ihre Musik soll etwas mit dem Leben zu tun haben. „Es muss ein Kommentar zur Zeit sein“, findet Ernst.

Der Schritt hat sich gelohnt. Sie redeten noch mehr als sonst und steckten anhand einzelner Lieblingsvokabeln wie „LED“, „Galaxy“, „Memory-Card“ die Bereiche ab, die sie beackern wollten. War es auf „Schick Schock“, dem Album ihres Durchbruchs von 2015, noch hauptsächlich um Geld gegangen, auf dem mit dem Soundcheck-Award prämierten „Magic Life“ 2017 dann um Geld und „all die anderen Dinge, die Menschen wichtig sind“, wie Ernst am Telefon sagt, wussten sie jetzt, dass sie sich den Wünschen stellen mussten, die über Luxuserwartungen hinausgingen. Davon handelt „Vernissage My Heart“. Es schlägt den Bogen von der ausgelassenen Freude, die man beim Tollen mit einer Fresbee-Scheibe auf einer Wiese empfindet, über die unerträgliche Leichtigkeit des Screen-Scheins bis zum großen Ausbruch: „Die meiste Zeit, da fühl ich überhaupt nichts / doch manchmal fühl ich diese Welt. Sie braucht mich. / Ich streck die Hände zum Himmel und – ah!“ Das ist unterlegt mit einem federnden Beat, der einem immer wilder durcheinander grölenden Chor verzweifelter Männer Auftrieb gibt, bis er auseinanderbricht im Chaos des Überschwangs.

Ernst erzählt, dass er sich jeweils sehr früh in der Entstehung eines Songs festlegte wovon der handeln, welche Wörter an ihm haften bleiben sollten. Diese Wörter murmelte er vor sich hin, bis sie den richtigen Klang annahmen. „Es ist wichtig, einen Sound oder Beat für sich zu benennen, ihm mit dem Refrain gleich am Anfang eine Vision zu geben, die aus fünf oder sechs Wörtern besteht. Wenn du die Dinge nicht titulierst, gehst du in den Möglichkeiten verloren. Man muss sehr aggressiv mit dem Material umgehen.“

Ein eigener Pass für EU-Bürger

Die Songs sind Kulissen, durch die sich Erzähler Maurice Ernst als Glücksritter bewegt, ein Suchender im digitalen Raum, umringt von imaginären Gefährten, die Mizzy, Mike und Bubu heißen und schon in früheren Songs immer wieder aufgetaucht waren. Das Leben ist geil, will Bilderbuch sagen, auch wenn sich alle immerfort ein bisschen verloren vorkommen in diesem Selfie-Universum der Selbstüberhöhung. „Wir wollen brennen wie die Superstars“ lautet die Losung, und das Beste ist: Die Musik lodert mit.

Einen Hammer-Hit hat Bilderbuch auf jedem seiner Alben gehabt. Auf „Mea Culpa“ fehlte dann ein solcher, „Vernissage My Heart“ (Maschin Records) hat dafür umso mehr. Denn es gelingt den Musikern, den Effekt zu bewahren, mit dem eine gute Idee sie anfangs in den Bann zog. In vielen Songs ist diese Idee in Form des ursprünglichen Takes erhalten geblieben und als Juwel durch den Kompositionsprozess geschleppt worden. Sei es das mäandernde Gitarren-Intro in „Kids im Park“ oder das Gegröle der Jungs in „Frisbee“, man hört die Begeisterung des ersten Augenblicks.

Mit „Europe 22“ findet sich schließlich sogar ein politischer Kommentar zur Abschottung des Kontinents unter den acht Songs. Vor kurzem erst hatten die vier Österreicher einen fiktiven EU-Pass auf ihre Website zum Download angeboten, den sich jeder selbst ausstellen kann. Zahlreiche Prominente machten davon Gebrauch. Es ist ein großer Hype daraus geworden, sich auf diese Weise zum Europäer zu machen. Da ist es alles andere als willkürlich, wenn sich der Sänger im Abschlussbild als jemand zeigt, der seine Hände Richtung Sonne hebt und zu einem letzten hintersinnigen Wortspiel ansetzt. Was ihm Glück beschert, singt er, „eine Freiheit, nicht zu denken“. Der Rest ist ein Gitarrensolo.

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