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Kultur: Verstehen Sie Spaß?

Salzburger Festspiele: Jürgen Flimm und Nikolaus Harnoncourt nehmen Purcells „King Arthur“ auf die leichte Schulter

Ein Gedankenspiel: In der wuchernden Kontrollbürokratie des vereinten Europa gibt es einen Kulturkommissar, dem die Aufsicht über die Festivalszene des Kontinents obliegt. Dieser Beamte nun hat zur Saison 2004 eine spektakuläre Rochade zwischen Salzburg und Bayreuth angeordnet. Man stelle sich vor: die Teams der beiden Eröffnungspremieren – kurzerhand ausgetauscht! Mit Nikolaus Harnoncourt würde der viel beschworene frische Wind dann auch musikalisch auf dem Grünen Hügel wehen (die Auseinandersetzung mit der historisierenden Aufführungspraxis wird in Bayreuth bislang noch hartnäckig gescheut). Jürgen Flimm könnte die Längen von Wagners Opus Ultimum „Parsifal“ mit handwerklicher Souveränität über die Runden bringen. Und umgekehrt könnte der gefürchtete Stückzersäger Schlingensief in Salzburg für sein Operndebüt ein Werk bearbeiten, das ohnehin mit jeder Aufführung neu zusammengesetzt, ja erst spielbar gemacht werden muss.

Denn Henry Purcells „King Arthur“, den Salzburgs Intendant Peter Ruzicka zur Eröffnung der diesjährigen Festspiele in der weiträumigen Felsenreitschule ausersehen hat, ist vor allem: ein großer Haufen Material. Eine fünfaktige Eloge des Barockdichters John Dryden auf die britische Nation samt eingewobenem, nicht eben subtilem Handlungsfaden um den legendären König Artus (=Arthur) und seinen Kampf gegen die Angelsachsen. Dazu knapp anderthalb Stunden Musik, die kompositorisch zwar genial ist, aber nichts zur Vertiefung der Charaktere beiträgt. Meistenteils liefert sie nur prunkvolle, oratorisch ausladende Tableaux.

Als „erstes Musical der Welt“ hat Ruzicka das Konglomerat von 1691 vorab angepriesen. Er sagte dies wohl, um dem Galapublikum die Rarität schmackhafter zu machen, teils aber auch aus einer Verlegenheit angesichts des musiktheatralischen Mischprodukts heraus. Denn der spartenverhaftete Kulturbetrieb konnte mit „King Arthur“ und Purcells (musikgeschichtlich folgenlosem) Sonderweg des barocken britischen Musiktheaters zwischen Restauration, Drama, höfischem Intermezzo und den Einflüssen der französischen und italienischen Opernstile lange wenig anfangen. Das Stück, das um seiner Musik willen aufgeführt wird, bei dem aber die Hauptpersonen, King Arthur, seine Braut Emmeline und die angelsächsischen Widersacher Oswald und Osmond, überhaupt nicht singen, läuft Gefahr, die Opernfans zu frustrieren. Und die Theaterfraktion schaut sich dann doch lieber Shakespeare oder Molière an.

Heute freilich ist gerade dieses Montagehafte spannend und „King Arthur“ als grandiose Unterhaltungsshow zu entdecken, bei der Nationalpathos und Rittertrash genauso zum Vergnügen des zahlenden Publikums herhalten wie das Shakespeare-Universum von Erhabenem und Groteskem, dessen Typen-Panoptikum John Dryden geplündert hat. Eine durchaus zynische Revue könnte, müsste das sein, in der selbst das Tragische nach seinem Unterhaltungswert bemessen wird und wo gleich neben der hoch ziselierten Arie „Fairest Isle“ ein dreckig derber Hooligan-Rundgesang erklingt, in dem man sich schlägt und verträgt.

Tatsächlich also ein prima Stück für Berserker wie Schlingensief oder auch für die Riege frecher Brit-Pop-Regisseure von Peter Sellars bis Nigel Lowery. Aber auch ein Stück für Jürgen Flimm? Viel Liebe und Detailarbeit hat der scheidende Chef der Salzburger Schauspielsparte in diese „Drammatick Opera“ investiert, hat zusammen mit Dirigent Harnoncourt eine knapp dreistündige Spielfassung ausgetüftelt und noch einmal seine geballte Erfahrung als großer Shakespeare-Regisseur der Achtzigerjahre aufs Tapet gebracht: Flotte umgangssprachliche Einsprengsel in den (von Renate und Wolfgang Wiens übersetzten) Dryden-Text veranschaulichen das postshakespearsche Mit- und Durcheinander der Sphären, von hohem Gefühl und praller Komödie.

Die opulenten Kostüme von Birgit Hutter markieren den Unterschied: hier die Kriegswelt der einander befehdenden Briten und Angelsachsen (letztere als deutsche Stahlhelm-Invasoren), dort die poetische schmetterlingsflügelige Geisterwelt der Magier Merlin und Grimbald – und vor allem des quicken Luftgeistes Philidel, einem verspäteten Cousin des durch den „Sommernachtstraum“ wieselnden Kobolds Puck. Ein wenig erinnert auch die Bühne von Klaus Kretschmer an die Theaterbauten der Barockzeit. Das verdankt sich den unverdeckten Schienen für die handgekurbelten Flugapparate der Zauberer und deren mehrstöckiger, die Rückwandgliederung der Felsenreitschule aufnehmender Arkadenbau.

Und doch bleibt dieser Abend seltsam zahm. Der Kontrast zwischen den Schwärmereien der blinden Heldin Emmeline (Sylvie Rohrer), den Rotzigkeiten der Angelsachsen, der verklemmten Tüfteligkeit Arthurs (Michael Maertens), der tuntig-salbadernden Großsprecherei Merlins (Christoph Bantzer) und der Niedlichkeit Philidels (Alexandra Henkel) reicht nicht hin, um „King Arthur“ auf die Beine zu helfen. Denn gerade weil Flimm die Mittel seines ShakespeareTheaters einsetzt, wird das Stück zur verunglückten Shakespeare-Nachahmung.

Die Flimmschen Ulkigkeiten vor allem, die bei dem englischen Dramatiker ein Gegengewicht zur Tiefe der Figuren bilden, geben Purcells leichtgewichtigerem Stück eine fatale Schlagseite. Die beständige Veralberung der Figuren (mit Ausnahme Emmelines) macht sie nicht interessanter. Extras wie die Travestie-Einlage einer verirrten Frankfurter Sponsorengattin – „Bin ich hier nicht in der ,Verführung aus dem Serail?’, und das auch noch auf hessisch – lassen die Produktion auf das Niveau einer Karnevalssitzung abrutschen.

Nikolaus Harnoncourt trägt zu der Lachnummernparade das Seine bei: Der sonst so gestrenge Maestro zieht sich bei der berühmten Frost-Szene des dritten Aktes mit sichtlichem Vergnügen eine Pudelmütze übers Haupt. Akustisch bleibt er den Kälteschauder allerdings schuldig: Die bibbernden Achtel der Streicher lässt er zu den Taktenden hin puddingartig verzittern. Jürgen Flimm schickt derweil eine Schar watschelnder Pinguine über die Bühne. Vom klirrenden, scharfkantigen Eis, das alles Leben einschließt, bleibt nur Schneematsch – und die Erinnerung daran, wie einst der erschütternde Zusammenbruch Molières in Ariane Mnouchkines Filmepos einem mit eben dieser Musik von Purcell ans Herz ging.

Ohnehin scheint das Verhältnis Harnoncourts zu Purcells Musik eher intellektuell ertrotzt: Die rhythmischen Akzente der Tanzsätze werden oft wie mit dem Hammer eingeschlagen, die instrumental ausgetrockneten ariosen Soloepisoden klingen erschreckend stimmungsarm und stehen überwiegend im Klangschatten der (vom Wiener Staatsopernchor mit satter Fülle präsentierten) Chorblöcke. Im ehrenwerten Sängerensemble bemüht sich zumindest Barbara Bonney um Eloquenz. Gegen den federnden Swing englischer Barockensembles oder den prickelnden Glamour von William Christies CD-Einspielung setzen Harnoncourt und sein Concentus Musicus eine querköpfige Starrheit, als ginge es um ein Händel-Oratorium.

Ende des Gedankenspiels: Hätte der imaginäre Kulturkommissar für die Rochade zwischen Salzburg und Bayreuth gesorgt, wären auch die Dirigentenpulte anders besetzt. Harnoncourt tauscht für „King Arthur“ mit Pierre Boulez. Und Purcells Barockklang umweht der frische Wind der Moderne.

DIE 84. SALZBURGER FESTSPIELE

wurden am Wochenende mit Jürgen Flimms „King Arthur“-Inszenierung eröffnet. Bis 31. August sind 188 Aufführungen geplant: Opern, Theaterabende, Konzerte. Es ist Flimms letzte Saison als Festspiel-Theaterdirektor; 2005 tritt er Gerard Mortiers Nachfolge als Ruhrtriennale-Intendant an. Die Amtszeit des Festspiel-Intendanten Peter Ruzicka endet 2006.

ZU DEN NEU-

INSZENIERUNGEN

zählt Tschechows „Die Möwe“ , die heute als erste Schauspiel-Festivalproduktion Premiere hat, als Koproduktion mit der Berliner Schaubühne in der Inszenierung von Falk Richter. Weitere Opernpremieren sind „Der

Rosenkavalier“ (Regie: Robert Carsen, 6.8.) und Erich Maria Korngolds „Die tote Stadt“ (Regie: Willy Decker, 15.8.). Weitere Schauspielpremieren sind Christopher Marlowes „Edward II.“ in einer Inszenierung von Sebastian Nübling (31.7.) und Eugene O’Neills „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ mit Connie Froboess und Helmut Griem (14.8.). Regie führt Elmar Goerden.

GENAUERE

INFORMATIONEN

im Internet unter

www.salzburgfestival.at

Kartentelefon: 0043-

662-8045-500

Jörg Königsdorf

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