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Kultur: Verstörend sanft - reich wie das Leben

Die Kunst lebt von Wandlungen, der Künstler von der Wandlungsfähigkeit.Durchgeistigt bis zum Manierismus, übersensibel bis zur Spannungslosigkeit, so sehr ins fein ziselierte Detail versenkt, daß die große Form zerbrach - all das konnte man bei Alfred Brendel schon erleben.

Die Kunst lebt von Wandlungen, der Künstler von der Wandlungsfähigkeit.Durchgeistigt bis zum Manierismus, übersensibel bis zur Spannungslosigkeit, so sehr ins fein ziselierte Detail versenkt, daß die große Form zerbrach - all das konnte man bei Alfred Brendel schon erleben.Das Werk konnte dabei Glück haben oder nicht.Diesmal hatte er seine Lieben Schubert, Haydn und Mozart um sich in der Berliner Philharmonie versammelt, ein Repertoire, dem er sich seit Jahren mit unverminderter Lust an neuen vertiefenden Nuancen widmet.Aber Aufregendes, Offenbarungen gar? Bis zur Pause war das nur stellenweise zu finden.Schuberts frühe und selten zu hörende H-Dur-Sonate (D 575) von 1817 entfaltet gewiß im energischen Unisono-Aufgang und in der ganz leichten Antwort schöne Differenzierungen, ist im zartesten Piano-Spektrum von traumverlorener Poesie.Wie hier die Finger über die Tasten schweben, beinahe körperlos Klang entsteht, das kann nur Brendel.Aber das kennt man eben und kann im ständig vom linken Pedal gebleichten Piano und seltsam schmalen, energielosen Forte auch ermüden.Auch Mozarts B-Dur-Sonate KV 570 perlt zunächst etwas unpersönlich vor sich hin, berührt nur im wärmeren Andante und im geistreich kokettierenden Final-Stakkato.

Aber dann! Die kühle Perfektion ist gewichen."Welch ein Komponist!" scheint Brendel mit jedem Ton einer kleinen frechen D-Dur-Sonate (1784) von Joseph Haydn zu sagen, beseelt und frei.Den Pastellfarben tritt jetzt auch stählerne Biegsamkeit gegenüber, beherzter Zugriff.Seine Genauigkeit beteiligt jedes Sechzehntel an der geistreichen Struktur; es gibt nichts Nebensächliches.Und dem mit mancher Extravaganz auf Beethoven hinweisenden Humor antwortet immer wieder ein leiser Schatten, ein zarter Seufzer, eine nachdenkliche Fermate - bis zum witzig inszenierten Schluß.

Die beredten Details, die sich hier in kleinteiligen Dialogen verausgaben, verbinden sich in Schuberts reifer G-Dur-Sonate (D 894) im großen Formbogen, auf ausladenden Klangflächen zu einer Erzählung von Tragik und Tiefe.Da fegen in der Durchführung Oktavstürme die federleichten Punktierungen, die duftigen Umspielungen hinweg.Wiederholungen sind stets neue Belichtungen: im massiven Moll-Teil des Andantes etwa, wo jeder kleine Vorhalt, jedes Echo die aufbegehrenden, den hoffnungsfrohen Beginn zerschlagenden Oktaven tiefer in die Resignation zurückstößt.Solche Konflikte nehmen auch dem Frage-und-Antwort-Spiel des Scherzos die Harmlosigkeit, lassen das Trio in melancholischer Poesie aufleuchten.Das ist, bis zum verstörend sanften Ausklang, reich und widersprüchlich wie das Leben selbst - vom Publikum mit Dankbarkeit und Enthusiasmus entgegengenommen.

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