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Kultur: Verstörender Realismus in der Berliner Galerie Taube

Pariser Str. 54, bis 23.

Pariser Str. 54, bis 23. Oktober; Dienstag bis Freitag 16-19 Uhr, Sonnabend 11-14 Uhr. Katalog 5 MarkMichael Nungesser

"So jung und schon voller Misstrauen", nörgelte einst ein Kritiker, und ein anderer erhoffte sich eine baldige Aufhellung seiner Palette. Von der "saugenden Melancholie seiner Berliner Stadtlandschaften" war die Rede und immer wieder vom großen Talent des "Frühvollendeten". Früh starb er denn auch - durch eigene Hand, ausgerechnet im Jahre 1968, als die von ihm kritisierten Gesellschaftsverhältnisse im Westen in stürmische Bewegung gerieten. Seitdem ist der "Opponent dieser Welt" auch künstlerisch tot, vergessen, verdrängt. Die Galerie Taube hat aus dem Nachlass eines Kunsthändlers eine kleine, aber markante Rückschau von Helmut Diekmann zusammengestellt (600-1400 Mark für Zeichnungen, 1600-5400 Mark für Ölgemälde), der einst durch die Kreuzberger Kleine Weltlaterne und das Berliner Kunstkabinett zu großem Ansehen gelangte.

Geboren 1941 in Berlin, war Diekmann nur kurz auf der Meisterschule für Kunsthandwerk, dafür - nach eigenem Bekennen - "zwei Jahre Penner". Erste Gemälde vom Ende der Fünfziger sind Landschaften - kahl, abweisend, stumpf. Bald treten Mensch und Stadt an die Stelle der verloschenen Natur, noch düsterer, in schmutzigen Erdfarben, grauverschleiert: geisterhafte Erscheinungen auf schwarzem Grund, dessen grobe Textur wie eine rauhe Haut durchscheint. Diekmanns Porträts sind abgründig-entlarvende Studien, die sich in den "Stammtischkriegern" zu satirischer Bissigkeit steigern. Seine Stadtlandschaften aus dem westlichen Berlin kurz nach dem Mauerbau, ob "Ruinen in der Nachodstraße" oder "Am Gleisdreieck", wirken wüst, schwermütig, erstickend. Doch sein "Spielendes Kind im Park" hat auch naiv-poetische Züge. Im "Wunstorfer Zyklus" von 1966, der auf eine Nervenheilanstalt Bezug nimmt, steigern sie sich zu grotesken Szenen, zu denen auch ein Selbstporträt des Künstlers gehört.

Diekmann war "kritischer Realist", lange bevor dies an der Tagesordnung war, ein vom Wohlstandsmief abgestoßener Warner und Einzelgänger. Heinz Ohff hielt ihn für "hellsichtig" und zugleich "Nachfahre, beladen mit dem Trauma voriger Generationen". Diekmann war ein sensibler, verstörter Realist, der viele, auch widersprüchliche Einflüsse verschmolz: die Leidenschaft von van Gogh mit der sanften Melancholie von Utrillo, das Sozialpathos eines Otto Nagel mit der karikaturistischen Schärfe eines Karl Arnold vom Simplicissimus; aber auch Ensor oder Rousseau spuken in seinen Bildern, die zuletzt immer verrätselter und traumhafter werden, sogar heiter. Diekmann malte, weil er "keine schlechten Bilder mehr sehen konnte". Die Seinen tauchen heute wieder als ästhetisches Sperrgut aus jüngster, schon fast versunkener Zeit auf und lassen staunen. Die Ausstellung ist eine bewegende Wiederentdeckung, die hoffentlich dazu beitragen wird, dass Diekmanns Werk den ihm gebührenden Platz in der Berliner Nachkriegskunstgeschichte erhält.Galerie Taube, Pariser Str. 54, bis 23. Oktober; Dienstag bis Freitag 16-19 Uhr, Sonnabend 11-14 Uhr. Katalog 5 Mark. © 1999

Michael Nungesser

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