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Unter Benedikt XVI. wurde der Priesterstand vergöttert.

© Realfiction

„Verteidiger des Glaubens“ im Kino: Papst-Doku analysiert Verbrechen in der katholischen Kirche

Unter Benedikt XVI. vertuschte die Kirche massiv Fälle von Kindesmissbrauch. Die Dokumentation „Verteidiger des Glaubens“ zeigt die Realitätsflucht des Papstes.

Als Papst Benedikt XVI. im Februar 2013 vom Amt des Oberhirten der römisch-katholischen Kirche zurücktrat, kam seine Entscheidung einem Paukenschlag gleich. Ein emeritierter Pontifex war nicht vorgesehen, sein Schatten belastet seinen Nachfolger Franziskus und widerspricht der Tradition.

Die Bilder seines Abschieds zeigten jedoch einen gebrechlichen Greis, der im Helikopter scheinbar gelöst in die päpstliche Sommerresidenz Castel Gandolfo entschwebte. Für Momente machte die Inszenierung vergessen, wie viele Verstrickungen und Verbrechen im Namen des Klerus der Sohn eines bayrischen Dorfgendarmen hinterließ, ohne die Verantwortung für seine eigene Vertuschungspolitik zu übernehmen.

„Verteidiger des Glaubens“, Christoph Röhls Spurensuche zum Werdegang, Amtsverständnis und Weltbild des 92-jährigen Ex-Papstes Josef Ratzinger, entfaltet opulente, geschickt montierte und mit angenehm zurückhaltender Musik unterlegte Bilderbögen, die den Prunk der Renaissance-Architektur des Vatikans, die Choreografie der Massen auf dem Petersplatz und das rituelle Gesamtkunstwerk der katholischen Liturgie zu einem fließenden Ganzen verbinden.

Auch mit einem dezenteren Einsatz dräuender Gewitterwolken und hallender Schritte auf steinernem Grund würde deutlich, dass der Regisseur die Anziehungskraft dieser mysteriösen, die heile Welt von Ratzingers Kindheit grandios übersteigernden Welt nachvollzieht.

Sein gut recherchiertes Bildmaterial unterlegt auf diese Weise, teils mit entlarvender Wucht, was Weggefährten aus Josef Ratzingers Zeit als Theologe, kritische Vatikan-Insider, vor allem aber Missbrauchsopfer über die fatalen Konsequenzen der in 30 Jahren aufgebauten inquisitorischen Strukturen ihm berichtet haben.

Ratzinger bekämpfte den aufmüpfigen Klerus

Um die Schönheit und symbolische Kraft des Bollwerks Kirche gegen das schleichende Eindringen des leibhaftigen Teufels abzuschotten, bekämpfte Kardinal Ratzinger als oberster Chef der römischen Glaubenskongregation über zwei Jahrzehnte alle Regungen im sündigen Kirchenvolk und aufmüpfigen Klerus. Ratzingers Arbeit hinter dem ebenso konservativen polnischen Papst Johannes Paul drehte zurück, was das zweite vatikanische Konzil und die südamerikanische Befreiungstheologie als Schritt in eine aufgeklärtere Moderne geleistet hatten.

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Im Selbstverständnis ein Verteidiger des rechten Glaubens, verfocht Kardinal Ratzinger auch als Papst Benedikt die rigide Ausgrenzung und Bestrafung aller, die das Zölibat infrage stellten, für Abtreibung und Verhütung eintraten oder Homosexualität akzeptierten. Zugleich feierte er die Priester als privilegierten Stand geweihter Männer.

[Acud, Bali, Delphi Lux, FT am Friedrichshain, Tilsiter, OmU: Eva-Lichtspiele]

Verleugnung von Kindesmissbrauch wurde zum Gebot

Die Theologen Hermann Häring und Wolfgang Beinert erklären anschaulich, wie der ängstliche Josef Ratzinger seine Realitätsflucht zur kirchenpolitischen Maxime erhob. Von der Glaubenskongregation abgestrafte Priester, unter ihnen der Jesuit Klaus Mertes, der die Missbrauchsfälle am Berliner Canisius-Kolleg publik machte, dringen in ihren Statements tief in die Widersprüche des Systems ein, das Ratzinger in Rom institutionalisierte.

Zeuginnen wie die ehemalige Nonne Doris Wagner, die sich für die Offenlegung der vertuschten Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche engagiert, beschreiben die Kehrseite der Vergötterung des Priesterstandes, die unter Ratzinger machtvolle Realität war.

Am Beispiel der österreichischen Gruppe Das Werk und der international agierenden Priesterbewegung Legionäre Christi wird die Struktur der sektenähnlichen Vereinnahmung junger Gläubiger ebenso deutlich wie der von der Kongregation legitimierte Machtmissbrauch durch Priester und Bischöfe.

Die Verleugnung von Kindesmissbrauch wurde zum Gebot, um die Fassade kirchlicher Ordnung zu wahren. Verstrickt in die Doppelmoral, verlor Papst Benedikt XVI. die Kontrolle über die Korruption, die sich im Schatten der Vertuschung im Vatikan breitmachte.

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