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Kultur: Vexierspiel mit Zeit und Raum

Abergläubische Sänger machen lieber einen Bogen um diese Lieder, für phantasiebegabte Biographen und Filmregisseure aber gibt es kaum einen dankbareren Stoff, der die schicksalhafte Antizipation des Lebens durch die Kunst auszuschlachten erlaubte: Gustav Mahlers "Kindertotenlieder" (nach Gedichten Friedrich Rückerts), geschrieben in einer Zeit wachsenden Familienglücks, dem wenig später der plötzliche Tod der ältesten Tochter ein Ende setzte.Die jüngste Produktion des Kanadiers Robert Lepage, jetzt für drei Tage im Hebbel-Theater zu Gast, trägt zwar auch schwer an ihrem bildungsbürgerlichen Ballast, dem ernsthaften Versuch, einen Moment aus Mahlers Biographie zu thematisieren.

Abergläubische Sänger machen lieber einen Bogen um diese Lieder, für phantasiebegabte Biographen und Filmregisseure aber gibt es kaum einen dankbareren Stoff, der die schicksalhafte Antizipation des Lebens durch die Kunst auszuschlachten erlaubte: Gustav Mahlers "Kindertotenlieder" (nach Gedichten Friedrich Rückerts), geschrieben in einer Zeit wachsenden Familienglücks, dem wenig später der plötzliche Tod der ältesten Tochter ein Ende setzte.

Die jüngste Produktion des Kanadiers Robert Lepage, jetzt für drei Tage im Hebbel-Theater zu Gast, trägt zwar auch schwer an ihrem bildungsbürgerlichen Ballast, dem ernsthaften Versuch, einen Moment aus Mahlers Biographie zu thematisieren.Andererseits sucht Lepage diese Vermittlung ganz bewußt gerade als Bühnen-Spiel: Sein Autor Blake Morrison hat ihm mit vier namenlos in einer angedeuteten Handlung schwebenden Figuren (der Sängerin, ihrem schriftstellernden Mann, der Tochter und einem Pianisten) einen Rahmen geschaffen, in den Lepage durch einen verwirrend virtuosen Umgang mit Zeit und Raum seine Bilder hineinzaubert.In deren geheimnisvoll-schlichter Schönheit findet die artistische Herausforderung dieses etwa 80minütigen Abends ihre eigentliche Erfüllung: die Herausforderung, eine Geschichte über eine geplante Aufführung von Mahlers Liedern zu erzählen und gleichzeitig auch eine für sich sprechende Aufführung dieser Lieder zu erreichen.

Ein Haushalt in Auflösung während der Proben für ein Konzert: Bücher und damit gemeinsame Geschichte werden auseinander sortiert, ein längst verlassener Raum füllt sich noch einmal mit Leben, Sprache, Musik.Sofa, Sessel, Schreibtisch, ein Fenster, der Flügel werden zu Orientierungspunkten in der Vergegenwärtigung des nur äußerlich Vergangenen: der gemeinsamen Beziehung mit der Sorge um die kranke Tochter, ihr fünf Jahre zurückliegender Tod, die Schaffenskrise des Vaters, das Ende des Gesangs der Mutter, die jetzt, wieder schwanger und im Aufbruch in ein neues Leben, von einer Aufführung der "Kindertotenlieder" eine Befreiung von Vergangenem erhofft.

Die schönsten Momente dieses Abends, in den Verwandlungen der Bühne, wie in der äußerst präzisen Körpersprache der Darsteller, entstehen interessanterweise da, wo Lepage seine Metaphern verblüffend kurzschlüssig direkt aus den Texten Rückerts zu gewinnen scheint, in der visuellen Umsetzung und doch ganz eigenen Dynamisierung von Zeitstrukturen und Lichterscheinungen.Die "dunklen Flammen", "der Kerze Schimmer", die "helle Sonne" und alle anderen Arten von Strahlungen, die Rückerts Verse beschwören, entwickeln in Lepages geradezu Licht atmendem Bühnenraum eine ganz eigenartige Kraft beständiger Verwandlung und wechselnder Evokationen, bis ins Visionäre hinein, wenn etwa aus dem großen Bücherregal, das den Bühnenraum nach hinten hin auf voller Länge abschließt, mehrmals jene Schiffsreling wird, auf der das letzte Foto von Mahler entstand.Enttäuschend leider der Gesang von Rebecca Blankenship.Wie sie den Balanceakt zwischen Singen und Spielen innerhalb der Bühnenhandlung und dem ganz für sich stehenden Gesangsvortrag zustande bringt, das ist kongenial, aber mit einem flackerndem Tremolo, in dem fast jede Linienführung erstickt, erreicht der Abend rein musikalisch nicht die hohe poetische Inspiriertheit seiner Bilder.

Letzte Vorstellung am 6.März, 20 Uhr.

MARTIN WILKENING

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