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Vicco von Bülow: Neues vom späten Loriot

Heute wäre Loriot 90 Jahre alt geworden. Zum Geburtstag sind neue Bücher und unbekannte Zeichnungen erschienen - einige entstanden bei Lampenschein und zunehmender Schlaflosigkeit.

Welch ein Spätwerk! Als der große Vicco von Bülow alias kürzer Loriot im zarten Alter von 87 Jahren das Zeitliche segnete, war er längst unsterblich geworden. Aber erst jetzt, da er heute seinen 90. Geburtstag hätte feiern können, sieht die Nachwelt mit wehmütiger Heiterkeit: Der Meister war produktiv und zu witzigen Überraschungen fähig bis fast zum leiblichen Ende.

Susanne von Bülow, eine der beiden Töchter Loriots, hat zusammen mit Peter Geyer und OA Krimmel den Prachtband „Loriot. Spätlese“ herausgegeben (Diogenes Verlag, Zürich, 374 Seiten, 39,90 €). Der Titel meint weniger Loriots einschlägigen Weingeschmack als vielmehr gut 400 bisher unveröffentlichte Zeichnungen. Manches beweist dabei wieder, warum Loriot auch als einer der satirischen Seismographen der deutschen Nachkriegsgeschichte gilt.

Das sittliche Empfinden der Adenauerrepublik

Außer für den „Stern“ hatte er in den ’50er Jahren vor allem für die Magazine „Quick“ und „Weltbild“ seine Cartoons entworfen. Doch beispielsweise seine Serie „Der gestrenge Chef“ wurde 1953 von der „Weltbild“ Redaktion, der sie nicht ins eigene Bild passte, zurückgewiesen. Im ersten Moment wirken die Zeichnungen mit dem mittelgescheitelten Firmenboss im Bratenrock und Stehkragen noch ganz harmlos. Selbst in Zeiten, als Frauen noch ihren Ehemann um eine aushäusige Arbeitserlaubnis bitten mussten.

Einmal schaut der Chef auf einer kleinen Klappleiter über die Kabinentüren des Herren- und Damenklos und ruft „Tischzeit beendet...“ Hat solch biedere Ausspähung tatsächlich das sittliche Empfinden der Adenauerrepublik verletzt? Loriot lässt seinen Meckermann auch eine Sekretärin mitsamt ihrer Schreibmaschine in die Knie gehen und vor ihm wie ein Kaninchen hüpfen: „Ich werde Ihnen schon Pünktlichkeit beibringen, Fräulein!“

Das erinnert dann schon an militärischen Drill und andere Schikanen aus damals nicht so lange vergangenen Zeiten. Und auf einem weiteren Cartoon sind die älteren männlichen Bürohengste, durch ein Fenster vom Chef beobachtet, alle über ihre Schreibsachen wie zur Strafarbeit gebeugt, während eine weibliche Angestellte im adretten Kostüm neben ihnen auf einem Schemel steht, gesenkten Blicks und mit einer Tafel um den Hals: „Ich bin die Wochen-Faulste“. Das freilich weckt auch ganz andere Assoziationen: Erinnerungen daran, wie in der Nazizeit jüdischen Frauen (und Männern) Schandtafeln umgehängt wurden. Plötzlich trifft der Humorist einen tieferen Nerv – und prompt war Schluss mit lustig.

Schlaflosigkeit? Führt zu kleinen Meisterwerken

Das sind, genau betrachtet, die erstaunlichen Seiteneinblicke in einem Buch, das sonst eher eine unbeschwerte Augenweide bietet. Seine geliebten Möpse sind hier malerisch grandios verewigt: Mopsköpfe in Anspielungen auf Picasso, in einer virtuosen Variation von George Braques kubistischen Violinen mit Mopsschlüssel, ein unendlich einsamer Mops à la Edward Hopper oder zwei geflügelte Mopsgesichtern in der Manier der berühmten Raffael-Engelsköpfe.

Am verblüffendsten sind jedoch die mit Farbstiften und Gel-Schreiber pastellierten „Nachtschattengewächse“ aus Loriots späten Jahren, oft bei Lampenschein seiner zunehmenden Schlaflosigkeit zu verdanken. Vor allem in den beiden Jahren vor seinem Tod experimentiert Loriot dabei mit dem Formenkanon der Moderne. Auf dem hier abgebildeten letzten Bild des Bandes von 2009 sind so expressionistisch Mops, Knollennasen und der Künstler selber im Porträt vereint.

Davor sind im Kapitel „Große Deutsche“ über die bekannteren Knollennasenporträts von Wagner oder Nietzsche hinaus auch Thomas Mann mit geradezu naturecht angedickter Nase und Albrecht Dürer zu sehen – Dürers Rundzinken, wird von Loriot hier als Zeichen des „Schnupfens... auf der Studienreise in die Niederlande“ erklärt. Ein sehr schönes Verdi-Bild ist dagegen ins nächste Kapitel weitergerutscht, das unterm Motto „Privates und Halbprivates“ liebevoll komische Konterfeis von Loriots Freunden und Gästen enthält.

Konventionell war er nie

Die Ergänzung hierzu liefert dann explizit „Loriots Gästebuch“, gleichfalls im Diogenes Verlag und von den nämlichen Herausgebertrio betreut (175 Seiten, 26,90 €). Der Multikünstler hat ab dem Jahr 1957 bis 1970 die meisten seiner Hausgäste zu Beginn des Zusammentreffens mit einer Rolleiflex fotografiert, jeweils positioniert vor einem von Ehefrau genähten, meist gerafften Vorhang und vor, auf, hinter einer halbmanns/frauhohen Säule. Daraus ist ein Panoptikum entstanden, mit vielen professionell komödiantischen Darstellern wie Nadja Tiller und Walter Giller, wie Horst Buchholz, der Pianist und Komponist Wilhelm Kempf oder „Spiegel“-Chef Rudolf Augstein samt begleitenden Damen.

Mehrfach abgebildet ist dort auch der Berliner Filmemacher Stefan Lukschy, jahrelang Loriots Assistent bei seinen Fernsehsketches und Filmen. Lukschy hat seinem väterlichen Freund jetzt eine einfühlsam informative Biografie geschrieben „Der Glückliche schlägt keine Hunde“ (Aufbau Verlag, 345 Seiten, 19,99 €). Lukschy plaudert, nie indiskret, aus dem Nähkästchen und liefert mit vielen Details die spannende Nahaufnahmen eines genial Peniblen, mit hübschen Widmungen auch von Otto Sander, Helmut Schmidt, Max Raabe oder Hape Kerkeling.

Bezeichnend die Anekdote, als Loriot vor einer TV-Sendung die Nachricht vom Tod seiner (um einiges jüngeren) Partnerin Evelyn Hamann erhält. Sein Nachruf: „Liebe Evelyn, dein Timing war immer perfekt, nur heute hast du die Reihenfolge nicht eingehalten.“ Das erscheint Loriot zu konventionell. Und im letzten Moment ergänzt er: „Na, warte...“

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