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Fläzen kann er. Der Berliner Schauspieler Frederick Lau, 25.

© Mike Wolff

"Victoria"-Schauspieler Frederick Lau: Voll aus dem Bauch

Ob Nudeldesigner oder Straßenköter: Frederick Lau ist das deutsche Schauspieltalent der Stunde. Das beweist er im Kinofilm „Victoria“, in dem er einen richtigen Berliner Jungen spielt.

Ein typischer Tag mit Frederick Lau kann beispielsweise so aussehen. Morgens: Interview mit dem Schauspieler in einem Hotel am Potsdamer Platz. Nachmittags: Anika Deckers hübsche Mainstream-Komödie „Traumfrauen“ ansehen, da ist er der superliebe Nudeldesigner mit dem Hundetick. Abends: Besuch des Oskar-Roehler-Films „Tod den Hippies – Es lebe der Punk!“, in dem er so sensibel wie schrill den schwulen, masochistischen, pillensüchtigen Nazipunk Gries spielt. Später am Abend: Daheim den Fernseher anstellen, zappen, an einem Film mit Wotan Wilke Möhring hängen bleiben und plötzlich schon wieder Lau in Jeans und Hoodie über den Bildschirm schlappen sehen. „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ heißt das ursprünglich fürs Kino produzierte Drama.

Lau spielt den Freund der renitenten Teenager-Tochter, einen irgendwie kleinkriminellen, latent aggressiv aufgeladenen Jungen. Seine mit breiter Nase, großflächigen Wangen, schmalen, von dicken Brauen überwölbten Augen an Max Schmeling erinnernde Züge liegen in kummervollen Falten. Stirnrunzeln kann Frederick Lau wirklich zum Gotterbarmen. Aber auch das treue Lächeln, der liebenswerte Hundeblick steht ihm gut. Dieser 25 Jahre junge Schauspieler hat das Gesicht der Stunde. An ihm kommt im Moment keiner vorbei. Erst recht nicht ab Donnerstag, wenn Sebastian Schippers Berliner Nachtstück „Victoria“ nach der Uraufführung auf der Berlinale in die Kinos kommt.

Reibeisenstimme mit Charme

Darin ist der frische, freche Frederick Lau der männliche Star, die Sonne, na ja, genauer gesagt spielt er „den“ Sonne. Einen jungen Kerl, der nachts mit seinen ebenfalls parabelhaft benannten Freunden Boxer, Blinker und Fuß durch die Clubs zieht und die Spanierin Victoria kennenlernt. Sie ist neu in der Hauptstadt der Partytouristen. Sonne flirtet mit Victoria. Erst nassforsch, dann immer ernsthafter und zärtlicher. Beides – der angriffslustige Rüpel wie der verspielte Kumpel – sind Frederick Laus Kernkompetenz. Schließlich rauben alle zusammen eine Bank aus und fliehen vor der Polizei. Eine intuitive, physische Geschichte, gedreht in einem 140-minütigen Take, die eins zu eins zum körperlichen, kreatürlichen Spiel von Frederick Lau, diesem so charmanten wie prolligen Kraftkerl passt.

Äh, Kraftkerl? Ein typisches Treffen mit Frederick Lau kann beispielsweise so aussehen. Auftakt ist eine Entschuldigung am Telefon. Weil er noch nicht da ist, sondern im Stau steht. Eine kleine Weile später stürzt er in das Hotelzimmer am Potsdamer Platz, strubbelhaarig, nach Duschdas duftend, aufgekratzt. Es folgt eine weitere Entschuldigung. Weil er zu spät ist, weil er ein bisschen konfus daherredet. Bisschen früh sei es halt noch. Deutlich kleiner, schmaler als gedacht sieht er aus. Nullkommanull Aggro-Ausstrahlung. Trotz der rauen Lache, dem Reibeisen in der Stimme. Nur lebendige, offene, die Worte wägende Höflichkeit. Die uniformen Möbel, ja selbst die lila Orchideen sehen so was von tot neben ihm aus.

Sportler oder Schauspieler? Egal, Hauptsache hundert Prozent

Das mit dem One-Take, mit dem Filmdreh in einem Rutsch, sei zuerst schon kniffelig gewesen, erzählt Frederick Lau. Trotz der Durchlaufproben. „Das Schwerste war, daran zu denken, das wir die Autotür beim Einsteigen nicht schließen dürfen, weil sonst der Kameramann draußen steht.“ Aber irgendwann denke man dann gar nicht mehr, sondern mache einfach. „Das groovt sich ein.“ Genau die Arbeitsweise, die dem Autodidakten, der Instinkt als Grundlage seiner Schauspielkunst nennt, sowieso am besten gefällt. „Ich bin ein Bauchschauspieler.“ Ach was. Für einen intellektuellen Analytiker hätte man ihn eh nicht gehalten. Da greift das alte Klischee: wer’s in den Beinen hat, kann’s nicht im Kopf haben. Und in den Beinen hat es der Sohn Steglitzer Eltern, die den Trödelladen seiner Kindertage inzwischen zum Antiquitätencafé aufgehübscht haben. Mit sechs hat er schon Eishockey gespielt. So richtig mit Ehrgeiz, mit hundertprozentig Reinhängen, mit Gewinnenwollen. Bis zur deutschen Meisterschaft hat er es mit der Schülermannschaft des Klubs Berlin Capitals gebracht. Hobbys pflegt Frederick Lau nämlich nicht. Ist ihm zu langweilig, geht ja um nichts.

Trotz Siegeswillen: Idole hat er keine. „Ich bin kein Vorbilder-Mensch.“ Weder in der Schauspielerei noch im Sport, wo er als Jugendlicher zwar die Disziplin, aber nicht die Haltung wechselt und 1999 prompt Berliner Judomeister wird.

Die danach erlebte Enttäuschung, keinen Artikel über den Titel in der Zeitung zu finden, beschert ihm die erste Schauspielrolle. „Nirgends stand was drin, da war ich ziemlich geknickt“. Dafür stößt er beim Blättern auf eine Anzeige, in der ein zehn Jahre alter sportlicher Junge für ein Filmprojekt gesucht wurde. Vater und Sohn fahren zum Casting. Frederick Lau erzählt ein bisschen von sich. Bingo! Das wird die erste Rolle.

Der Durchbruch kommt dann nach vielen Kinderfilmen 2008 mit dem Deutschen Filmpreis für eine Rolle als bester Nebendarsteller in Dennis Gansels Schülerdrama „Die Welle“. Da spielt er an der Seite von Jürgen Vogel den Außenseiter Tim. Seither hat Frederick Lau keine Probleme mehr damit, Artikel über sich in der Zeitung zu finden. Oder Rollen zu bekommen. Oder weitere Preise. Es läuft bestens für den bodenständigen Familienvater aus Steglitz, der er inzwischen selber ist.

Mehr vermitteln als Spaß und Freude - und durchlässig sein

„Ich bin ein richtiger Berliner Junge.“ So stellt sich Sonne Victoria gegenüber im Film vor. „Genau, da habe ich absolut nicht gelogen“, grinst Frederick Lau. Und was bitte schön ist das genau, ein Berliner Junge? Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Hier geboren und auf der Straße rund ums eigene Karree aufgewachsen“, sagt er. „Berliner Jungen sind nicht weit gekommen, aber wollen weit hinaus.“ Er lacht. Dabei sollte das jetzt gar keine Selbstdefinition sein. Könnte es aber. Wobei ihm so ein „Straßenköter“, wie er die Figur Sonne nennt, mehr liegt als der  brave Nudeldesigner in „Traumfrauen“, dem Regiedebüt der Til-Schweiger-Drehbuchautorin Anika Decker, die eine gute Freundin von Frederick Lau ist. „Ich sehe mich mehr im Kunstfilm.“ Da sei die schauspielerische Herausforderung größer. Da könne er mehr vermitteln als nur Spaß und Freude. Was denn beispielsweise? „Dass die Jugendlichen, die da auf der Bank sitzen und Bier trinken, interessante und sensible Menschen sein können.“ Außenseiter, Subkulturen, Hinterhof-Typen, die reizen ihn. „Da frage ich mich: „Warum sind die so?“

Er selbst will vor allem – durchlässig sein. „Das Wichtigste ist, nicht zu lügen, während man spielt. Sich selbst zu glauben, was man gerade sagt oder tut.“ Berliner Jungs, da habt ihr euren Ehrenkodex!

„Victoria“ startet am Donnerstag in den Kinos

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