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Videokunst: Ikea gehört allen!

Hausbesetzer: Der Israeli Guy Ben-Ner macht Wohnwelten zu Filmkulissen.

Eigentlich ist die Szene brüllend komisch: Am Ende stehen Elia und Amir, die 13-Jährige und ihr siebenjähriger Bruder, vor der Kamera, hinter ihnen hängt am Billy-Regal eine schwarze Totenkopffahne, die statt gekreuzter Knochen Hammer und Sichel zieren. Mit der Entschlossenheit künftiger Anarchisten lesen sie aus ihrem Manifest vor: „Kinder dieser Welt, stehlt, was ihr stehlen könnt! Setzt euch über Besitz hinweg!“ Was wie Slapstick beginnt, wie eine Sitcom in der realen Kulisse eines Ikea-Kaufhauses, endet in Guy Ben-Ners Video „Stealing Beauty“ mit dem Aufruf zum kollektiven Raub. Den Jungschauspielern macht die Rolle sichtlich Spaß. Im realen Leben würde Amir sein Lego-Spielzeug allerdings vehement verteidigen.

Szenenwechsel: Bei den Ben-Ners zu Hause. Elia und Amir sind noch in der Schule, auch Mutter Nava kommt erst später. Sie ist ebenfalls vom Ikea-Video bekannt, wo sie bei ihrem Erstauftritt wie selbstverständlich die Hausschlüssel auf einen ausgestellten Esstisch des Einrichtungshauses knallt und dann den Gatten im benachbarten Badezimmer sucht („Hallo, irgendjemand zu Hause?“). Bei den Ben-Ners daheim sieht es zunächst gar nicht so viel anders aus. Vater Guy kocht erst einmal Kaffee für den Besuch – in einer Ikea-Küche, wie sie sich in zahllosen deutschen Haushalten befindet.

Und doch hat diese Küche mit einem Durchschnittsküchenleben wenig gemein. Bis Monatsende können die Ben-Ners noch bleiben, dann endet das DAAD-Stipendium des israelischen Künstlers, und der nächste ausländische Gast zieht für ein Jahr ein. Zwischendurch klingelt das Telefon. Guy Ben-Ner nimmt sofort ab, es könnte ja wegen der neuen Wohnung sein. Seiner Familie gefällt es in Berlin, nachdem sie zuvor fünf Jahre lang in New York lebte. In Braunschweig hat der Künstler an der Akademie gerade einen Lehrauftrag angenommen. Nun suchen die Ben-Ners ein eigenes Quartier.

Im realen Leben ist das erheblich schwerer als im Video „Stealing Beauty“, das in der DAAD-Galerie zu sehen ist. Mit einer kleinen tragbaren Kamera positioniert sich ein Familienmitglied möglichst unbemerkt im Ikea-Ambiente und filmt dort etwa Vater und Kinder beim Geschirrabwaschen – über die Tonspur wird plätscherndes Wasser, am Ende sogar ein zerspringender Teller eingespielt. Das geht immer so lange gut, bis das Sicherheitspersonal aufmerksam wird und den Dreh abbricht. „Stealing Beauty“ spielt deshalb an verschiedenen Orten, mal wurde in den USA, mal in Deutschland gedreht. Berlin erwies sich mit seinen drei Ikea-Filialen als besonders praktisch: Wenn die Ben-Ners rausflogen, fuhren sie einfach zur nächsten.

So weit der komödiantische Teil. Wer allerdings den Dialogen folgt, erfährt von einer ganz anderen Ebene. Da geht es um Geld, um die Definition von Besitz und darum, wer in der Familie das Sagen hat. Der kleine Amir will es partout nicht begreifen. Als zwischendurch Mutter Nava aus dem Urlaub (gefilmt vor einem Reisebüroplakat) die daheim gebliebene Familie anruft, lautet ihre erste Frage: „Stiehlt er immer noch?“ Und Tochter Elia verwickelt Vater Guy in ein vertracktes Gespräch, ob ihm denn nun die Mama gehöre. Was der empört zurückweist: „Vermische nicht Liebe mit Eigentum!“ Wie in Sitcoms werden die Fragen des Lebens in knappen Dialogen abgehakt. Nur die Lacher aus dem Off fehlen.

Mit dieser pragmatischen Art, philosophische Diskurse und gesellschaftliche Zusammenhänge in kleinen Lehrfilmen zu dramatisieren, bei denen zumeist der Regisseur selbst und seine Kinder Hauptdarsteller sind, hat sich Guy Ben-Ner in der Kunstwelt einen Namen gemacht. Seit er vor zwei Jahren Israel auf der Biennale in Venedig vertrat, ist er hoch gefragt. Bei einem Skulpturenprojekt in Münster gehörte sein Beitrag diesen Sommer zu den amüsantesten Stücken. Sein Film war eine Hommage an das beliebteste Fortbewegungsmittel der Stadt, das Fahrrad, allerdings über den Umweg des Museums. So stehlen Ben-Ner und seine Kinder von Picassos berühmter Stierskulptur Sattel und Lenker, von Duchamp das Rad und von Beuys die Pumpe, um sich daraus ein Velo zusammenzubauen. Das amüsiert und sagt gleichzeitig viel über die Entfernung zwischen Museum und Leben.

Gerade um die Überbrückung dieser Kluft geht es Ben-Ner. Er suchte nach einem Weg, Arbeit und Familie miteinander zu verbinden und zugleich die eigenen Lebensbedingungen zu reflektieren. Was lag näher, als Tochter und Sohn in die Videos zu integrieren. Für die Kinder war es Spiel, für den Vater produktiver Spaß. Die Berliner Kunst-Werke zeigen gegenwärtig den 2000 gedrehten Stummfilm „Moby Dick“, bei dem die damals sechsjährige Elia mit ihrem Vater den berühmten Melville-Roman in der heimischen Küche nachspielte. Der Geschirrschrank wird zur Kajüte, die Babywanne zum Rettungsboot, das Eisfach zur Kombüse.

Ben-Ners Filme haben die Ausstrahlung von Heimvideos und besitzen doch den Charme einer Chaplinade, bei der sich die großen Zusammenhänge in den kleinen Dingen erklären. „Manchmal bringt erst die Fiktion die Wahrheit ans Licht“, sagt der Filmautodidakt, der ursprünglich am israelischen Hamdrasha Art College Malerei studierte. Für „Stealing Beauty“ erhielt er jetzt auf der Kölner Kunstfilm-Biennale den ersten Preis im Internationalen Wettbewerb.

Ben-Ner weiß, dass jeder neue Film mit seinen Kindern der letzte gewesen sein könnte, dass seine liebsten Hauptdarsteller irgendwann vielleicht nicht mehr mit ihm drehen wollen. Der 38-Jährige nimmt es gelassen. „So ist das Leben“, sagt er. Vielleicht handelt davon dann sein nächster Film: wie seine Kinder ihre ersten Schritte selbstständig in Berlin machen, wie sie sich abnabeln und die U 8 in Richtung Schule nehmen.

DAAD-Galerie, Zimmerstr. 90/91, bis 19.1.; Kunst-Werke, Auguststr. 69, bis 13.1.

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